Editorial
Kästner ./. Schlu
weiter zum aktuellen Stand
30. November 2003
Leidensgenossen:
Michaels
Coeiner Seiten
PS-Verlag
Runwalt.de
Liebe Leser,
Ich bekam letzten Montag eine Abmahnung der
Rechtsanwälte von Thomas Kästner, der der
Erbe Erich Kästners ist. Ich hatte seit einer
Kästner-Unterrichtsreihe drei Kapitel und vier
Gedichte von EK auf meiner Webseite stehen. Die RAe
und Thomas Kästner fordern von mir dafür
Euro 1.196.-, zahlbar bis zum 9.12.2003. Ich habe
Ihnen folgendes zurückgeschrieben:
Sehr geehrter Herr ( Name des Anwalts) ,
mit Erschrecken habe ich Ihren Brief gelesen, die
fraglichen Texte sofort gelöscht und vom Netz
genommen. Ich habe in Ihrer Kanzlei angerufen und
die Hintergründe kurz erklärt,
möchte dies aber noch schriftlich tun.
Ich bin Lehrer, und arbeite an einer Bonner
Gesamtschule. Die Schüler kommen aus
verschiedensten Kulturkreisen, können
teilweise kaum Deutsch, deutsche Literatur ist
ihnen im Normalfall völlig unbekannt und sie
kommen oft auch aus Familien, in denen nicht
gelesen wird (Laut PISA-Studie ist die fehlende
Leseroutine der Hauptgrund für schulisches
Versagen). Daher versuche ich das Interesse an
Literatur zu wecken und darum gibt es in den
Klassen öfter Aktionen wie
Bücherflohmärkte, Lesekisten oder eine
Literaturvorstellung. Natürlich haben wir auch
diverse Kästner-Bücher - teils komplett,
teils in Auszügen - gelesen und versuchen
immer die Kinder für Literatur zu begeistern.
Das Geld für die Dressler-Ausgaben haben aber
viele Familien nicht und daher gibt es Exzerpte und
Probekapitel, die gelesen werden können und ab
und zu kommt ein Kind mit einem Flohmark-Exemplar
oder auch mal mit einem neuen Buch, um zu zeigen,
was es sich gekauft hat. Bislang konnte ich meine
Schüler über Texthäppchen irgendwann
dazu bekommen, auch mal ein ganzes Buch zu lesen
und das "fliegende Klassenzimmer" haben wir ganz
gelesen, wenn auch nicht jeder ein eigenes Buch
hatte. Kästner wurde Thema und die Kinder
waren irgendwann neugierig auf mehr.
Aus diesem Grunde entstand die Webseite über
Kästner. In Mittagspausen oder AG-Stunden
gehen viele Schüler auf meine Seite und
schauen in die aktuellen Seiten hinein, weil die
Inhalte der zur Zeit üblichen Schulbücher
nicht so aufgemacht sind, daß die Kinder sie
freiwillig lesen. Meine Seite wird aber relativ oft
besucht, weil die Kinder mich kennen und deswegen
auch schon mal freiwillig lesen. Logischerweise
landete die Unterrichtsreihe über Kästner
nach der Durchführung in der Klasse auf meiner
Seite und war dort bis letzten Montag zu
finden.
In der Vergangenheit gab es bei urheberrechtlichen
Hinweisen an mich entweder (oft nachträglich)
die Erlaubnis oder man bat um Löschung, die
dann sofort erfolgte. Dies ist das erste Mal,
daß mir auf diese Weise eine hohe Rechnung
(Ich finde eine geforderte Zahlung von ¤
1.196,00.- ziemlich hoch) präsentiert wird. In
Nordrhein-Westfalen gibt es in Schulbüchern
kaum Quellenmaterial, gut aufbereitetes Material
leider nur, wenn man es selber erstellt und ein
großer Teil meines Geldes geht (außer
für die Familie etc.) für
Unterrichtsmaterialien drauf. Ich würde dies
auch ganz gern in Zukunft tun. Der Webreport meiner
wichtigsten 30 Seiten verzeichnet keine
Kästner-Seite, so daß die monatlichen
Besuchsfrequenzen unter 300 Hits/Monat liegen
müssen. - also etwa die Höhe meiner
Deutschklassen.
Im Kollegium hat Ihr Schreiben regelrechtes
Entsetzen ausgelöst. Einerseits herrschte
Unverständnis darüber, daß
ausgerechnet der Erbe Erich Kästners die
juristische Keule schwingt, andererseits ist die
Situation so, daß man als Lehrer ständig
literarische und urheberpflichtige Texte an die
Öffentlichkeit gibt: man kopiert Gedichte,
Kurzgeschichten, Auszüge, zeigt Filme im
Klassenraum bespricht Musikbeispiele und
Hör-CDs in der Klasse und vieles mehr.
Wo ist die Grenze zur Öffentlichkeit, wenn ein
durchschnittlicher Lehrer pro Woche mit mindestens
200 Kindern und Jugendlichen zu tun hat? Verstehen
Sie mich nicht falsch. Es geht nicht darum,
für Literatur nicht zu bezahlen, aber
Textauszüge, Ausschnitte und Leseproben
müssten für die schulische Erziehung frei
sein (Noch einmal der Hinweis auf PISA und die
Lesefähigkeit der Schüler).
Internet-Seiten werden u.a. auch mit unseren
Schülern erstellt und auf der Schulseite oder
auf Lehrerseiten veröffentlicht - auch
über Literatur. Ich darf anmerken, daß
ich mit der bekannten Autorin Gudrun Pausewang vor
Jahren aus ihrem Buch "Der Schlund" ein Musical
erstellte, das erst Anfang September im
Staatstheater Vogtland aufgeführt wurde. Es
war eine Schulgruppe, die chronisch knapp bei Kasse
war. Hätte ich da auch mit dem Anwalt kommen
sollen?
Ich kenne das neue Urheberrrecht noch nicht, stelle
aber fest, daß immer öfter Inhalte
für die Schule und die Bildung nicht
freigegeben sind. Nach Zugang Ihres Schreibens
muß man davon ausgehen, daß alles, was
nach 1933 passierte urheberrechtlich für die
Schule zu teuer wird, da innerhalb einer Schule
natürlich keine Urheberrechtsvergütung
gezahlt werden kann und auch meines Wissens nach
nicht gezahlt wird. Man wird sehen, wie die
Enwicklung nun geht, aber aktuelle Literatur wird
vermutlich nicht mehr gelesen werden, solange man
um die zehn Euro dafür bezahlen muß. Man
muß sich dann aber irgendwann fragen, ob man
als Literaturerzieher die Kinder dann nicht eher an
die aktuellste Literatur heranführt statt in
der musealen Nostalgie zu verbleiben - immerhin
beschreibt Kästner eine Kindheit der
preußisch geprägten Zeit zwischen Kaiser
und Führer und die ist für heutige Kinder
unverständlich. Als feststand, daß das
"fliegende Klassenzimmer" in die Kinos kommen
würde, haben wir das Buch zwar gelesen, jedoch
haben die Kinder erst durch die Verfilmung und die
darin enthaltene Transkription auf die aktuelle
Zeit den Plot verstanden, weil diese Welt für
unsere normalen Schüler nicht mehr existiert.
Die Zeit von Emil, Pünktchen und ihren
Altersgenossen ist einfach vorbei und die Literatur
dieser Epoche kann auch von anderen Autoren
abgedeckt werden.
Unterlassungs- und
Verpflichtungserklärung:
Punkt 1
Ich werde in meiner Tätigkeit als Lehrer nie
mehr Texte Kästners im Unterricht einsetzen
oder weiter verbreiten, weder durch ein mir
zugängliches Lehrwerk, noch durch Einstellung
ins Internet, noch durch Lektüre in der
Schule. Ich werde Kästners Texte nicht mehr in
der Klasse vorlesen noch anderen Kindern
erzählen, sicher nicht mehr verwenden,
verwenden lassen oder anderen Kindern
zugänglich machen.
Punkt 2
die Löschung der Texte Kästners von
meiner Seite erfolgte am Montag, dem 24.11.2003
unmittelbar nach Eingang Ihres Schreibens, wie Sie
erkennen können. Erich Kästner taucht
lediglich in der Kulturgeschichte des 20 Jh. auf,
Abteilung "Berlin/Weimar". Es gibt zwar noch die
Links, aber alle Texte Kästners wurden
gelöscht.
Punkt 3
Ich verpflichte mich im Widerholungsfalle die
Vertragsstrafe in Höhe von ¤ 5.000
für den Fall der Zuwiderhandlung zahlen. (Rest
s. Anlage)
Punkt 4
Ich habe Texte Kästners für
Klassenarbeiten abgeschrieben und sie den
Schülern überlassen, ich habe auf
Elternabenden Gedichte und Textauszüge
Kästners herumgehen lassen und bei einer
Einschulung meinem Schulleiter auf den Text
Kästners "Rede zum Schulbeginn" hingewiesen
und damit ca 400 Personen zugänglich
gemacht.
Punkt 5
Ich bitte Sie allerdings aus den oben genannten
Gründen, den Betrag zu verringern oder zu
erlassen. Sollte dies nicht möglich sein,
bitte ich um Ratenzahlung, da ich die geforderte
Summe von ¤ 1.196,00.- nicht bis zum 9.
Dezember aufbringen kann.
Punkt 6
Ich werde meine Gesamtausgabe Kästner nun
vermutlich vernichten, da ich sie nicht mehr
einsetzen kann und eine Weitergabe an andere
ausscheidet, da ich mich ja vermutlich mit der
Weitergabe geschützter Texte strafbar machen
könnte. Privat lese ich übrigens anderes
(z. B. Tucholsky) . Sie sollten Thomas Kästner
vielleicht fragen, ob er Interesse daran hat,
daß Erich Kästner nicht mehr in der
Schule gelesen wird, in den meisten in NRW
zugänglichen Schulbüchern taucht er
sowieso nicht mehr so häufig auf.
Ein Letztes noch:
Aus dem Impressum meiner Seite geht ganz klar meine
Dienstanschrift und die E-Mail-Adresse hervor.
Insofern wäre es leicht gewesen eine aktuelle
Anschrift herauszubekommen und man hätte Ihren
Rechercheaufwand sicherlich verringern können.
Die Adresse, an die Sie schrieben, stimmt seit vier
Jahren nicht mehr.
Mit freundlichen Grüßen
MS
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