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Kulturgeschichte - 20. Jahrhundert


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"Ein fliehendes Pferd"


"Die Gruppe 47"

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Martin Walser
Ein fliehendes Pferd

unter Mitarbeit von Victoria Steinhöfer , Klasse 10d / 2001, revidiert Oktober 2007 © Martin Schlu

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Inhaltsangabe "Ein fliehendes Pferd"
Seit Jahren fahren Helmut und Sabine Halm in die Ferien an den Bodensee. Es sind Ferien, die sie anspruchslos beginnen und die einfach so an ihnen vorbeiziehen.
 
Vom Cafétisch aus betrachtet Sabine die Promenierenden auf der Uferpromenade. Helmut wünscht sich nichts sehnlicher, als dieser Abendidylle zu entfliehen und die Tagebücher von Kierkegaard zu lesen.
 
Dann aber passiert etwas, das ihre anspruchslose Ruhe stört. Plötzlich steht Helmuts alter Jugendfreund, Klaus Buch, vor ihnen und will nicht wahrhaben, daß Helmut, der mittlerweile auch schon sechsundvierzig Jahre alt ist, ihn nicht mehr erkennt. Neben Klaus Buch, jung und braungebrannt, steht seine Frau Helene, ebenfalls braungebrannt wie er. Immer wieder muß Klaus Helmut alte Geschichten erzählen, damit sich dessen Gedächtnis regt. Doch ohne jedes Interesse beginnt Helmut, die alten Erinnerungen anzuerkennen. Nichts bereitet ihm größere Abneigung als Vergangenes.
 
Wie anders und intensiv muß Klaus Buch gelebt haben, wenn ihm selbst noch die kleinsten Details zum Greifen nah erscheinen. Helmut gibt sich sehr pessimistisch, er sieht die Erinnerungen, sowie die Gegenwart, aus einem negativen Blickfeld. Von nun an plant Klaus Buch das Programm der gemeinsam zu verbringenden Ferientage. Äußerlich geben sich Helmut und Klaus als gute alte Freunde, die in alten Erinnerungen schwelgen, doch innerlich führt von Helmut kein Weg zu Klaus Buch, da stimmt nichts überein. Helmut verschweigt dies jedoch und spielt die Rolle des Jugendfreundes.
 
Nur ein einziges Mal, bewundert er Klaus Buch ohne Vorbehalt: Als sie von einer Wanderung zurückkommen, rast ihm ein fliehendes Pferd entgegen. Der Bauer kann es nicht halten und so fängt Klaus Buch es gekonnt ein. Er erklärt später: "Einem fliehenden Pferd kannst du dich nicht in den Weg stellen, Es muß das Gefühl haben, sein Weg bleibt frei. Und: ein fliehendes Pferd läßt nicht mit sich reden". Für einen kurzen Augenblick sind sich alle einig, danach wächst die Kluft zwischen ihnen wieder und ihr scheinheiliges Rollenspiel geht weiter.
 
Als beide eines Nachmittags ohne die Frauen im Segelboot sitzen, kommt ein heftiger Sturm auf. Klaus Buch kämpft strahlend und stellt seine Kräfte zur Schau. Dieser Kampf ist ihm willkommen, er hat keinen Zweifel daran, ihn zu bestehen. Es wird ein Kampf zwischen Klaus Buch, der versucht jede Sekunde des Lebens zu genießen und auszubeuten und Helmut Halm, der keinen Anspruch mehr an das Leben hat und nur versucht seine Pflichten zu erfüllen.
 
Durch einen "Unfall", bei dem Klaus Buch ins Wasser gestoßen wird und nicht mehr auftaucht, wird die ganze Situation umgeworfen. Alle glauben, Klaus sei tot und die Personen, die sich wegen ihm (der der ausschlaggebende Punkt war) verstellt haben, verraten sich, oder werden verraten. Helene gibt schließlich den Menschen Klaus Buch preis, der als großer Blender enttarnt wird und sie sagt, ihre Liebe, die gar nicht existierte, war eine einzige Unterdrückung. Jeder wird er selbst, bis plötzlich Klaus Buch wieder vor der Tür steht. Keiner hat sich mehr was zu sagen und beide Paare reisen ab.
 
Zum Buch:
In dem Buch "Ein fliehendes Pferd" von Martin Walser geht es hauptsächlich um die Problematik der Midlife-crisis.
 
Nur eine Person bleibt, wie sie wirklich ist: Sabine ist stark und übersteht die begehrenswerte Scheinwelt. Alle anderen Personen verstellen sich, hauptsächlich wegen Klaus, der der größte Blender von allen ist. Er gibt vor, ein spontaner Mensch zu sein, der jede Sekunde lebt und versucht sie auszubeuten. Er spielt die Rolle des erfolgreichen und vom Leben faszinierten Mannes. Doch innerlich ist er unglücklich, er hat die meisten Probleme und hat eigentlich alles satt. An einigen Stellen im Buch (..."Der Hund leckt ihn an der Hand, er schreit auf"...) kann man immer wieder erkennen, daß er Schwachstellen hat, daß er verletzlich ist und noch lange nicht so perfekt , wie er immer tut. Klaus kommt immer wieder auf seine Jugendzeit zu sprechen, weil er meint, daß das dies beste Zeit seines Lebens war und er möchte sie am liebsten wieder zurückrufen. Auch Helene verstellt sich, aber eher ungewollt. Sie wird von Klaus sehr unterdrückt, ja fast zerquetscht. Er gibt ihr vor, was sie zu tun oder zu lassen hat, er will aus ihr "seine" perfekte Frau machen und will, daß sie das macht, was er sagt. Sie soll sich für das interessieren, was ihn interessiert und das erreichen, was er nie geschafft oder gemacht hat. Helenes ganzes Leben richtet sich nach Klaus, es ist eine einzige Unterdrückung für sie. Auch ihre Beziehung ist nicht von großer Bedeutung, da sei kein Glück, keine Liebe, sagt sie.
 
Helmut dagegen ist ganz anders als Klaus, er hat keinen großen Anspruch mehr an das Leben und nimmt alles so hin, wie es ist. Er fühlt sich aber doch durch Klaus gezwungen, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Auch Sabine zuliebe verstellt er sich, doch auch immer wieder kommt "er selbst" heraus, ob es nun eine Zigarre ist, die er vor den Nichtrauchern raucht oder ob es ein Wein ist, den er vor Antialkoholikern trinkt. Mit der Zeit merkt Helmut immer mehr wie Klaus sich verstellt, er ist fassungslos und merkt, daß es ihm eigentlich besser geht als diesem. Keiner will mit der Wahrheit konfrontiert werden und spielt seine Rolle, hilfesuchend und sich selbst gefangenhaltend, sich bloß nicht preisgebend, aus Angst davor, das Leben könnte verletzend sein.
 
Der - im Rückblick - einzige Augenblick der Übereinkunft war der, als Klaus Buch das "fliehende Pferd" einfing und nur für diesen Moment haben alle anderen Klaus bewundert.
 
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