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Kulturgeschichte - 20. Jahrhundert


   
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20. Jahrhundert  

B. Langenbach Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
Heimkehr 28. Juni 1945  
Fortsetzung

Es gab plötzlich keine Schießerei mehr. Es sprach sich ganz schnell herum, daß der Krieg zu Ende war. Plötzlich war kurz hinter uns die Straße voller johlender und manchmal in die Luft schießender Soldaten. Es waren Russen. Wir hatten, ohne es zu merken, die Demarkationslinie überschritten und befanden uns auf amerikanisch besetztem Territorium und das war unser Glück. Jetzt waren wir in Schlutup (Lübeck). Unser Verband löste sich auf. Meine Lagerführerin Brigitte Achenbach hatte das Dienstsiegel vom Lager gerettet. Damit hat sie uns Entlassungsscheine ausgestellt.

Unseren Bollerwagen hatten wir immer noch und außerdem ein RAD-Pferd vom Feldküchengespann. Brigitte stellte eine Bescheinigung aus, daß das Pferd anstelle ausstehender Gehälter in unseren Besitz übergegangen war. Dienstsiegel drauf! Wir haben dann einen Bauern gefunden, der es uns für dreihundert Reichsmark abgekauft hat. Es war aber auch in einem guten Zustand.

Wir versuchten nun, über den Elb-Trave-Kanal über Hamburg nach Hause zu kommen. Wir warteten an einer Brücke, ein kanadischer Soldat erklärte uns, wir müßten leider etwas warten, bis die Soldaten herüber seien - daraus wurden dann drei Wochen. Der kleine Ort hieß Ziethen (bei Ratzeburg). Wir mußten uns dort registrieren lassen und bekamen eine Lebensmittelkarte. So konnten wir uns täglich in die Schlange einreihen, um Brot zu erhalten.

In Ziethen waren eine Menge Leute. Vermutlich warteten sie - wie wir - auf die Freigabe der Brücke. Bei täglichen Schlangestehen nach Brot lernten wir auch einige Flamen kennen, die angegeben hatten, sie hätten als Fremdarbeiter in Spandau (irgendwelche Werke, Auto???) gearbeitet und seien nun auf dem Weg nach Hause. In einen habe ich mich schrecklich verliebt und hinter ihm her getrauert, als er und einer seiner Kameraden sich im Munsterlager melden mußten. Tatsächlich aber waren sie bei der Waffen-SS gewesen, was bei ihrer späteren Heimkehr zu Komplikationen geführt hatte. Lode de Vlaminck - ein schöner Name für einen Flamen - hatte mir erklärt, sein Bruder sei in Belgien von einem Kommunisten erschossen worden. Deshalb habe er ihn rächen wollen und gegen die Kommunisten kämpfen wollen. Diese Freiwilligen waren auch nur an der „Ostfront" im Einsatz. Als sich in späteren Jahren die Lage normalisiert hatte, blieben wir in Kontakt. Er und seine Frau Nana schickten mir zu Fraukes Geburt ein wunderschönes Tauflätzchen aus Brüsseler Spitze, die auf blaue Seide genäht war. Nach dieser Abweichung also weiter mit unserer Rückkehr.

Wir kamen über Hamburg - St. Pauli Landungsbrücken am Rathaus vorüber und dann in Richtung Lüneburger Heide/Soltau. In Winsen/Luhe haben wir dann in der kleinen Luhe ein Bad genommen, man konnte drin stehen. Danach kam Munsterlager. Marianne und ich waren jetzt mit dem Bollerwagen alleine. Wir marschierten etwa täglich dreißig Kilometer (das habe ich so in Erinnerung). Wenn wir abends irgendwo um ein Quartier fragten, merkten wir, daß die Menschen ängstlich geworden waren. Sie fragten uns schon mal, ob wir etwa Polen seien. Fremdarbeiter kehrten auch zurück, aber in entgegengesetzter Richtung. Die sind in den letzten Tagen aus ihren Lagern ausgebrochen und haben versucht, sich durchzuschlagen - mit und ohne Gewalt.