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Kulturgeschichte - 20. Jahrhundert


   
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20. Jahrhundert  

B. Langenbach Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
1945 Flucht - Zwischenfall am 1. Mai  
Fortsetzung

Es herrschte Unruhe. Niemand wußte, wie lange der Krieg noch dauern konnte. Nur eines hatten wir gemerkt: die Russen kamen von Osten immer näher, die Amerikaner aber von der anderen Seite. Es gab viel MG-Feuer aus der Luft. Gelegentlich lag ein erschossenes Pferd am Straßenrand, von dem sich hungrige Soldaten Stücke abschnitten. Das Fleisch war ja nicht abgehangen und es dauerte Stunden, bis es genießbar wurde. Ich weiß nicht mehr, ob es überhaupt gegart wurde - Kochgeschirre auf Spirituskochern waren nicht immer vorhanden. Wir haben auch mal etwas bekommen, es hat aber nicht geschmeckt.

Es war am 1. Mai. Unser Weg ging über die Landstraßen von Schwerin nach Grevesmühlen, über Dassow, Selmsdorf auf Lübeck zu. Noch waren wir als Gruppe zusammen. Ich glaube, daß das Unglück in der Nähe von Grevesmühlen geschah. Am hellen Tage befanden wir uns alle in einer Scheune. Ein ganz junger RAD-Mann ging mal eben auf den Hof an die Pumpe, da flog ein Flugzeug vorüber und warf eine kleine Bombe ab. Christoph wurde durch einen Bombensplitter getroffen und war sofort tot. Wir konnten es nicht fassen. Wir waren entsetzt und traurig, denn dieser Junge war immer sehr munter und hilfsbereit gewesen. Das Haus war heil geblieben, es war niemand sonst verletzt worden.

Als kein Flugzeug mehr am Himmel war, haben die Männer ihn hereingeholt und er wurde etwas später in einer winzigen Kapelle auf dem Felde aufgebahrt. Als wir Mädchen Abschied nehmen wollten, bemerkten wir, daß seine Stiefel fehlten. Einer der Männer sagte uns drauf, Christoph brauche nun keine Schuhe mehr, aber vielleicht könnten diese einem seiner Kameraden auf der Flucht das Leben retten. Wir mußten weinen und konnten uns nicht beruhigen.

Ich erbat mir Christophs Brieftasche, die ich seinen Eltern mit nach Hause bringen wollte, denn er stammte aus Nord- oder Südkirchen, zehn oder fünfzehn Kilometer von Lünen entfernt. Als ich das später tat, konnte ich nicht einmal sagen, wo er begraben worden war.