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Kulturgeschichte - 20. Jahrhundert


   
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20. Jahrhundert  

B. Langenbach Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
April 1945 Flucht  
Fortsetzung

Am ersten Tag kamen wir bis Lippspringe, wo wir in einem Hause der Lungenheilanstalt übernachten konnten. Meine Privatsachen - ich hatte einen wunderschönen Lederkoffer von meinem Vater bekommen - brachte ich bei meinem Außendienstbauern unter. So hatte jeder von uns nur das Nötigste mitgenommen. Ich habe in Erinnerung, daß wir täglich etwas 25 - 30 km gegangen sind.

Wir waren relativ gut gelaunt, denn wir dachten, wenn wir erst mal hinter der Weser im Ausweichlager Petershagen sind, können wir in Ruhe abwarten, bis unsere Wehrmacht die eingedrungenen Alliierten im Ruhrgebiet eingekesselt und gefangengenommen hat. Wir waren im törichten Glauben, daß das funktioniert. - Wenn ich heute - 2001 - aufbereitete Sendungen über das Dritte Reich sehe, bin ich gar nicht überrascht, denn die samtweichen Reden des Propagandaministers Goebbels haben uns immer wieder Mut gemacht, durchzuhalten. Heute kann man das nicht verstehen. Es gab ja keine Pressefreiheit, dafür sorgte das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda.

Am zweiten Tag unserer Tour ging es von Bad Lippspringe über eine Paßstraße - die bekannte „Gauseköte" - Richtung in Norden. Wir hätten vielleicht noch zwei Tagesmärsche gebraucht. da stießen wir bei der abenteuerlichen Quartiersuche auf eine Abteilung des männlichen RAD. Es ergab sich, daß wir uns zusammentaten. Die Männer hatten einen Quartiermeister, der am Tage vorausging (oder vorausfuhr) und bei den Bauern eine Scheune zum Übernachten erbat. Meistens war auch eine Pumpe auf dem Hof, so daß wir morgens wenigstens eine „Katzenwäsche" veranstalten konnten. Die Männer hatten einen „Fouragewagen". Das war ein Lebensmitteldepot. Wir Frauen übernahmen teilweise die Kocharbeit an der Gulaschkanone. Diese Wagen wurden von Pferden gezogen, und es gab auch die entsprechenden Leute, die die Pferde versorgen mußten.

Nun wurde nachts marschiert und am Tage im Heu geschlafen. Irgendwie waren wir plötzlich an der Elbe, die wir bei Dannenberg überquerten. Inzwischen begegneten uns Trecks, die aus östlicher Richtung kamen. Soldaten, die dabei waren, riefen uns zu: „Ihr geht in die falsche Richtung! Kehrt um!" Wir fühlten uns aber dienstverpflichtet und wollten uns nicht nachsagen lassen, daß wir „von der Fahne gehen". Jetzt standen wir in Mecklenburg und über Ludwigslust kamen wir bis zum Schweriner Schloß. Inzwischen waren die Straßen total verstopft. Die Russen kamen von Osten immer näher. Wir zogen also in westlicher Richtung weiter. Es gab Tieffliegerbeschuß.