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Kulturgeschichte - Klassik


Anfangsseite Goethe

Faust
Zueignung-
Vorspiel auf der Bühne
Prolog im Himmel
Studierstube
Auftreten des Erdgeistes
Chor der Engel
Osterspaziergang
Mephistos Auftreten
Pakt
Auerbachs Keller
Hexenküche
Straße I
Abend
Margarete mit einer Lampe Spaziergang
Der Nachbarin Haus
Straße II
Garten
Wald und Höhle
Gretchens Stube
Am Brunnen
Zwinger
Nacht
Dom
Walpurgisnacht
Walpurgistraum
Trüber Tag
Kerker

Johann Wolfgang von Goethe
Faust - Gretchens Stube

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Gretchens Stube.
Gretchen (am Spinnrad, allein).
 
Gretchen
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Wo ich ihn nicht hab,
Ist mir das Grab,
Die ganze Welt
Ist mir vergällt.
Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Meiner armer Sinn
Ist mir zerstückt.
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Nach ihm nur schau ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh ich
Aus dem Haus.
Sein hoher Gang,
Sein edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,
Und seiner Rede
Zauberfluß,
Sein Händedruck,
Und ach! sein Kuß!
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin,
Ach dürft ich fassen
Und halten ihn,
Und küssen ihn,
So wie ich wollt,
An seinen Küssen
Vergehen sollt!
 
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Marthens Garten
Margarete. Faust.
 
Margarete
Versprich mir, Heinrich!
 
Faust
Was ich kann!
 
Margarete
Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
 
Faust
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
 
Margarete
Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
 
Faust
Muß man?
 
Margarete
Ach! wenn ich etwas auf dich konnte! Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.
 
Faust
Ich ehre sie.
 
Margarete
Doch ohne Verlangen. Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
 
Faust
Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
 
Margarete
So glaubst du nicht?
 
Faust
Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
»Ich glaub ihn!«?
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen: »Ich glaub ihn nicht!«?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Aug in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
 
Margarete
Das ist alles recht schön und gut;
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein bißchen andern Worten.
 
Faust
Es sagen's allerorten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
Warum nicht ich in der meinen?
 
Margarete
Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.
 
Faust
Liebs Kind!
 
Margarete
Es tut mir lange schon weh, Daß ich dich in der Gesellschaft seh.
 
Faust
Wieso?
 
Margarete
Der Mensch, den du da bei dir hast, Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
Als des Menschen widrig Gesicht.
 
Faust
Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!
 
Margarete
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih mir's, wenn ich ihm unrecht tu!
 
Faust
Es muß auch solche Käuze geben.
 
Margarete
Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
Kommt er einmal zur Tür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird's so wohl in deinem Arm,
So frei, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.
 
Faust
Du ahnungsvoller Engel du!
 
Margarete
Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten,
Und das frißt mir ins Herz hinein;
Dir, Heinrich, muß es auch so sein.
 
Faust
Du hast nun die Antipathie!
 
Margarete
Ich muß nun fort.
 
Faust
Ach kann ich nie Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen
Und Brust an Brust und Seel in Seele drängen?
 
Margarete
Ach wenn ich nur alleine schlief!
Ich ließ dir gern heut nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär gleich auf der Stelle tot!
 
Faust
Du Engel, das hat keine Not.
Hier ist ein Fläschchen!
Drei Tropfen nur In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
 
Margarete
Was tu ich nicht um deinetwillen?
Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!
 
Faust
Würd ich sonst, Liebchen, dir es raten?
 
Margarete
Seh ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht, was mich nach deinem Willen treibt,
Ich habe schon so viel für dich getan,
Daß mir zu tun fast nichts mehr übrigbleibt.
 
(Ab.)
 
Mephistopheles tritt auf.
 
Mephistopheles
Der Grasaff! ist er weg?
 
Faust
Hast wieder spioniert?
 
Mephistopheles
Ich hab's ausführlich wohl vernommen,
Herr Doktor wurden da katechisiert;
Hoff, es soll Ihnen wohl bekommen.
Die Mädels sind doch sehr interessiert,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.
 
Faust
Du Ungeheuer siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele
Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
 
Mephistopheles
Du übersinnlicher sinnlicher Freier,
Ein Mägdelein nasführet dich.
 
Faust
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
 
Mephistopheles
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich:
In meiner Gegenwart wird's ihr, sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun, heute nacht-?
 
Faust
Was geht dich's an?
 
Mephistopheles
Hab ich doch meine Freude dran!
 
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Am Brunnen
Gretchen und Lieschen mit Krügen.
 
Lieschen
Hast nichts von Bärbelchen gehört?
 
Gretchen
Kein Wort. Ich komm gar wenig unter Leute.
 
Lieschen
Gewiß, Sibylle sagt' mir's heute:
Die hat sich endlich auch betört.
Das ist das Vornehmtun!
 
Gretchen
Wieso?
 
Lieschen
Es stinkt! Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt.
 
Gretchen
Ach!
 
Lieschen
So ist's ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spazieren,
Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
Mußt überall die Erste sein,
Kurtesiert ihr immer mit Pastetchen und Wein;
Bildt sich was auf ihre Schönheit ein,
War doch so ehrlos, sich nicht zu schämen,
Geschenke von ihm anzunehmen.
War ein Gekos und ein Geschleck;
Da ist denn auch das Blümchen weg!
 
Gretchen
Das arme Ding!
 
Lieschen
Bedauerst sie noch gar! Wenn unsereins am Spinnen war,
Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ,
Stand sie bei ihrem Buhlen süß;
Auf der Türbank und im dunkeln Gang
Ward ihnen keine Stunde zu lang.
Da mag sie denn sich ducken nun,
Im Sünderhemdchen Kirchbuß tun!
 
Gretchen
Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.
 
Lieschen
Er wär ein Narr! Ein flinker Jung
Hat anderwärts noch Luft genung.
Er ist auch fort.
 
Gretchen
Das ist nicht schön!
 
Lieschen
Kriegt sie ihn, soll's ihr übel gehn,
Das Kränzel reißen die Buben ihr,
Und Häckerling streuen wir vor die Tür!
(ab)
 
Gretchen
(nach Hause gehend)
Wie konnt ich sonst so tapfer schmälen,
Wenn tät ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt ich über andrer Sünden
Nicht Worte gnug der Zunge finden!
Wie schien mir's schwarz, und schwärzt's noch gar,
Mir's immer doch nicht schwarz gnug war,
Und segnet mich und tat so groß,
Und bin nun selbst der Sünde bloß!
Doch- alles, was dazu mich trieb,
Gott! war so gut! ach, war so lieb!
 
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Zwinger
In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkruge davor.
Gretchen steckt frische Blumen in die Kruge.
 
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!
Das Schwert im Herzen,
Mit tausend Schmerzen
Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du
Hinauf um sein' und deine Not.
Wer fühlet,
Wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!
Wohin ich immer gehe
Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!
Ich bin, ach! kaum alleine,
Ich wein, ich wein, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.
Die Scherben vor meinem Fenster
Betaut ich mit Tränen, ach!
Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blumen brach.
Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
In meinem Bett schon auf.
Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!
 
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