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Die
Judenbuche
Inhaltsangabe
- Hintergrund
1
Ein
Sittengemälde aus dem gebirgichten
Westfalen
2 Das
Dorf B. galt für die hochmütigste, schlauste und
kühnste Gemeinde
3
Das
zweite Jahr dieser unglücklichen Ehe ward mit einem
Sohne...
4
Er
war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von
ihrem....
5
Margreth
stand ganz still und ließ die Kinder
gewähren.
6
Um
diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze
7
Um
Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte
Tee.
8
Die
gerichtliche Untersuchung hatte ihren Anfang
genommen,
9
Am
nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh
auf,
10
Es
war sieben Uhr abends und alles in vollem
Gange;
11
Herr
von S. war auf dem Heimwege verstimmt,
12
Die
Juden der Umgegend hatten großen Anteil
gezeigt.
13
In der Küche befanden sich außer dem Manne eine
Frau
14
Herr
von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen
Schelm
|
Die Judenbuche -
Historische Vorlage
Stand: Juni 2007,
zusammengestellt von Martin Schlu
|
- Inhaltsangabe
des Droste'schen Textes - Hintergrund
- Geschichte eines Algerier
Sklaven
Von A. Freiherrn Haxthausen
-
- Der Bauernvogt von Ovenhausen hatte
im Herbst 1782 einen Knecht Hermann Winkelhannes, mit dem
er, weil es ein tüchtiger frischer Bursche, wohl
zufrieden war. Dieser hatte bei dem Schutzjuden Pinnes in
Vörden Tuch zum Foerhemd (Camisol) ausgenommen, und
als er wohl schon einige Zeit damit umhergegangen und der
Jude ihn nun an die Bezahlung mahnt, so läugnet er,
verdrießlich, das schon etwas abgetragene, und auch
nicht einmal gut ausgefallene Tuch noch theuer bezahlen
zu müssen, jenem keck ab, so hoch mit ihm
übereingekommen zu seyn, vielmehr habe er die Elle
zwei gute Groschen wohlfeiler accordirt, und nach manchem
Hin- und Herreden sagt er zulezt: "du verflogte
Schinnerteven von Jauden du wust mi man bedreigen, eh ek
di den halven Daler in den Rachen smite, well eck mi
leiver den kleinen Finger med den Tännen afbiten, un
wann de mi noch mal kümmst, so schla ik di de Jacken
so vull, dat du de Dage dines Levens an mi gedenken
sast". Dem Juden bleibt also nichts anders übrig,
als ihn beim H.schen Gericht, der Gutsherrschaft
Hermanns, zu verklagen. In der Zwischenzeit bis zum
Gerichtstag hat sich dieser mit mehreren besprochen, und
ist ihm von den Bauern, da es gegen einen Juden ging,
gerathen worden, es darauf ankommen zu lassen; wie denn
sein eigener Brodherr sich später ein Gewissen
daraus gemacht hat, dass er ihm damals gesagt habe: "Ei
wat wust du denn dat bethalen, eck schloge ja leiver den
Jauden vörm Kopp, dat hei den Himmel vorn Dudelsack
anseihe, et is ja man 'n Jaude!"
-
- Aber am Morgen des Gerichtstages
beschwor der Jude sein Annotirbuch, und da er
außerdem unbescholten war, ward ihm der volle Preis
zugesprochen; da wollen Leute, die die Treppe herauf
gingen, als Hermann von der Gerichtsstube herunter kam,
gehört haben, dass er gesagt: "Töf, ek will di
kalt maken!" von welchen Worten ihnen das
Verständniß erst nach dem Morde geworden.
-
- Es war Abend geworden, als der
Förster Schmidts quer übers Feld aufs Dorf
zugehend, den Hermann an der Ricke herauf nach dem
Heilgen Geist Holz zugehen sieht, und, glaubend jener
wolle noch spät Holz stehlen, ihm behutsam auf dem
Fuß nachfolgt. Als er ihn aber nur einen
Knüppel sich abschneiden sieht, und die
Zackäste davon abschlagen, so sagt er halb
ärgerlich bei sich: "I wenn du wieder nix wult
häddest, ase dat, so häddest du mi auk nich
bruken dahenup to jagen"; und die Flinte, die er auf den
schlimmsten Fall zu schneller Bereitschaft unter den Arm
genommen, wieder auf die Schulter hockend, geht er
langsam die Schlucht herunter nach dem Dorf zu. Nahe
davor zwischen den Gärten begegnet ihm der Jude
Pinnes und bittet für seine Pfeife um etwas Feuer,
welches man auch keinem Juden abschlagen darf, und weil
der Zunder nicht gleich fangen will, so reden sie vom
Handel, und ob der Jud seine Fuchsfelle haben wolle, der
aber: er könne jetzt nicht wieder umkehren und sie
besehen, er müsse nach Hause; "ja, sagte der
Förster ihm das Feuer auf die Pfeife legend, "wenn
du noch na Huse wust, so mak dat du vor der Dunkelheit
dörch 't Holt kümmst, de Nacht meint et nich
gut med den Minschen".
-
- Zwei Tage drauf des Nachmittags kommt
die Frau des Schutzjuden Pinnes den Höxterschen Weg
herunter ins Dorf, schreiend und heulend: ihr Mann
läge oben erschlagen im Heilgen Geist Holze; und
während die Leute zusammenstehn und es besprechen
und einige den Weg heraufgehen, dem Holze zu, giebt sie
bei dem Gerichte an, und erzählt unter Schluchzen,
als vorgestern ihr Mann nicht gekommen, gestern nicht,
und auch heute Morgen nicht, habe sie sich aufgemacht, um
hier im Dorf zu fragen welchen Weg er genommen, und als
sie durchs Holz gekommen, sei auf einem Fleck viel Blut
gelegen, und eine Spur davon habe ins nahe Gebüsch
gewiesen, da sei sie neugierig gefolgt, meinend ein
todwundes Wild sei da vielleicht hineingekrochen, da sei
es ein Mensch gewesen, und ihr Mann, und todt!
-
- Man bringt ihn auf einer Tragbahre
ins Dorf. Er hatte siebzehn sichtbare Schläge mit
einem Knüppel erhalten, aber keiner von sechsen, auf
den Hirnschädel gefallenen, hatte diesen zersprengt,
ohngeachtet sie so vollwichtig gewesen, dass die Haut
jedesmal abgequetscht war. Nur einer ins Genick und ein
Paar in die Rippen waren ihm tödtlich geworden. Die
Haut in beiden Händen war abgeschält; (er
hatte, wie sich später erwieß, mehrmals
krampfhaft den zackichten Prügel ergriffen, der
Mörder ihm aber denselben mit aller Gewalt durch die
Hände gerissen dass die Haut daran
geblieben).
-
- Der Förster Schmidts war mit
unter denen gewesen, die hinauf gegangen, und fand kaum
100 Schritt vor der Leiche auf dem Wege nach Ovenhausen
rechts am Graben den blutigen Knüppel der seine
Gedanken auf Hermann leitete; dann kam beim Gericht die
Erinnerung an den Prozess, und bald die Aussage jener die
gehört, dass Hermann unten an der Treppe gesagt: ek
will di kalt maken.
-
- Da gab das Gericht Befehl ihn zu
arretiren, und weil man hörte, er sei seit ein paar
Tagen nicht mehr beim Voigt in Ovenhausen, sondern bei
seinem Vater in Bellersen, so setzte sich der Drost
Freiherr H..n selbst mit einem Reitknechte zu Pferde, und
ritt von der einen Seite ins Dorf, während von der
andern Seite die Gerichtsdiener auf das Haus des alten
Winkelhannes zukamen. Der aber erzählte, als man
niemanden fand, sein Sohn sei schon seit voriger Nacht
fort, er wisse nicht wohin. Das war aber unwahr, denn
Hermann erzählte später selbst: er habe die
Gerichtsdiener aufs Haus zukommen sehen, da sei er durchs
Fenster in den Garten gesprungen und habe sich in die
Vicebohnen versteckt, und habe das Suchen alles
gehört, wie es dann still geworden, dann ein Paar am
Gartenzaun sich begegnet, und der eine gesagt: da hawwet
se en!" worauf der andere: ach wat willt se'n
häwwen, de is längest öwer alle Berge! wo
sull he denn wal hen lopen sin? Ach wat weit eck, na
Ueßen, na Prüßen, na Duderstat hen!
-
- Der Jude lag indeß auf der
Todtenbahre und seine Wunden öffneten sich nicht
mehr, um bei Vorführung des Mörders zu bluten.
Da kamen die Verwandten und Glaubensgenossen, ihn zum
ehrlichen Begräbniß abzuholen, und
während der Rabbiner ihn in den Sarg legen und auf
den Wagen laden lässt, stehen der Bruder und ein
paar andre Juden beim Drosten H..n und bitten ihn nach
einiger Einleitung, "se hatten 'ne grause Bitte an er
Gnoden." - Nun und worin besteht die? wendete der Drost
ein. "Er Gnoden müssen's uns aber nich vor übel
nehmen, da is der Baum wo unser Bruder bei erschlagen, da
wöllten mer se bitten, ob se uns erlauben wollten in
den Baum unsre Zeichen 'nein zu schneiden, wir wollens
gerne bezohlen, fordern er Gnoden nur was se da vor haben
wollen". - "O das thut in Gottesnahmen so viel ihr nur
wolltt!' - "Nu mer wollen allen Schaden ersetzen,
verkaufen se uns den Baum". - "Ach was, schreibt daran
was ihr Lust habt, das thut dem Baum weiter nichts. Aber
was wollt ihr denn drein schneiden, dürft ihr das
nicht sagen?" frägt der Drost zurück. "Ach wenn
er Gnoden es nich vor übel nehmen wollten, da ist
unser Rabbiner der soll da unsere Hebraischen Zeichen
nein schneiden, dass der Mörder, den unser Gott
finden werd, keines rechten Daudes sterben soll."
-
- Nach fast 6 Jahren, im Frühjahr
1788, wird dem Fürstbischof von Paderborn,
während gerade in der Zeit des Landtags Mehrere von
der Ritterschaft, worunter auch der Drost H..n, bei ihm
an der Mittagstafel sitzen, ein Brief gebracht, welchen
er, nachdem er ihn gelesen, dem Drosten giebt, "das
betreffe jemand aus einem seiner Dörfer und wie sich
das verhalte, ob man etwas dafür thun solle?" Der
Drost, nach aufmerksamer Lesung, giebt ihn dem
Fürsten zurück: "Er überlasse das der
Einsicht ihrer Fürstlichen Gnaden, der Mensch sei
übrigens im starksten Verdacht eines begangenen
Mordes, und man würde ihn dort nur befreien, um ihn
hier den Händen der Gerechtigkeit zu
überliefern". -
-
- Der Brief aber lautet wörtlich
so:
-
- Ihro Hochfürstlich
Gnaden durchleichtigster Printz.
- Mein allergnadigster Herr
herr etc.
-
- Ich armer bitte
Unterthänigst. zu vergeben dass ich mein
Schreiben an ihro durchleichtigsten Printzen Ergehen
lasse. in deme ich nach Gott Einzig und allein meine
Zuflucht zu ihro Gnaden meinen allergnädigsten
Landesherren suche, hoffe meine Bitte erhöret zu
werden.
-
- Ich Johannes Winkelhannes
von den Paderpormschen auß Pelersen deß
Fürstenthum von Neuhaus gebürtig, von der
Dioces Churfürstenthum Cöllen. Mein Vatter
hermanns und meine Muetter Maria Elisabetta Abgentz,
dessen Ehlich Erzeigte Sohn stunde in spanischen
Dienste untter dem löbl. Regiment Provante
geriethe Sclavische Gefangenschaft worinnen ich schon
über zwei Jahre lang in diesem so erbermlichen
Leben bin, Wenn man sollte sprechen das Ellend der
Christen unde wie sie von diessen Barbaren dractieret
werden, ist mir unmöglich zu schreiben, und die
teglichen Nahrung bei so schwerer Arbeit miserable
Kleidung sollte ein steinernes Herze zum Mitleiden
bewegen. Doch meiner seits Gott sei Dank habe ich
einen guetten Patron bekhomen, welcher der erste
Minister nach dem Dei ist, und wird Casnätzi
genannt, wo ich an Unterhalt undt Kleidung keinen
Mangel leidte doch in bedenkung ein Sklave den
Christenthum Entzogen, und meiner Schuldigkeit als ein
Christ nit nachkommen kann.
-
- Keinen Trost. Undt zuflucht
bei keinen Menschen mich dieses Jemerlichen Standes zu
entziehen, so setze ich nun mein Vertrauen und
Zuflucht zu ihro hochfürstliche gnaden
Kniefehlich mit bitteren Thränen bittend durch
das bittere Leidten und Sterben Jesu Christi sich
meiner zu erbarmen, mich dieses Ellenden
Sclaven-Stande Loß zu machen und mir wiederum in
mein liebes Vatterlandt zu verhelfen es ist in
Wahrheit es ist Villes Gelt nachendt bei Dreihundert
Ducaten, doch wird solches Gott der Allmechtige
solches an ihrer hoch fürstliche Gnaden reichlich
vergelten bittend anbey dieses mein Schreiben an meine
libe Eltern und befreunde wissen zu thun, so sie
annoch bei Leben seyen mochten laße sie
ebenfalls freundlich grüssen und bitten, sie
mochten ebenfalls bei ihro hochfürstlichen
Landesherren vor mich bitten und in ihren Gebett bei
Gott vor meine Guet Detter und Erlöser dieses
Elendes ingedenk sein Schliesse mit bkteren
Thränen und verharre an ihro Hchfürstliche
Gnaden
-
- Ein aller
unterthänigster Unterthan
- und Diener
- Johannes Winkelhannes Sclav
de Minister
- Casnacz; in Algier
-
- So ein Schreiben an mich
überschickt werden sollte, ist solches an
Monsieur Walther Consul de Schvede zu attressiren und
muss solches bis nach Marseilo frangierent werden
-
- Signt Algier in Barbaria
- den 8ten November an 1787
-
- Im April 1807 wird dem Drosten H. in
dem Augenblick als er auf der Haustreppe steht, um in den
Wagen zu steigen, der ihn nach Paderborn bringen soll,
von dem Felddiener und Gerichtsboten Malchus die Anzeige
gemacht: in Bellersen sei vor einigen Tagen der Hermann
Winkelhannes, der seid 25 Jahren verschollen, und damals
des Mordes beschuldigt, eingetroffen, ob man da
vielleicht von Gerichtwegen ihn arretiren oder sonst
verfahren solle. Worauf der Drost in den Gedanken der
Abreise durch plötzliche Vewunderung über die
seltsame Nachricht gestört und die Schwere der Worte
nicht gleich erwägend, zum Gerichtsdiener gesagt:
allerdings, er müsse gleich arretirt werden; aber
eingestiegen und kaum vom Hof gefahren lässt er
halten, und ruft den Gerichtsdiener an den Kuschenschlag,
ihm befehlend er solle noch mit der ganzen Sache ruhen,
und schweigen, er wolle erst in Paderborn anfragen, die
Sache sei so lange her, die Zeugen meist todt oder fort
die ganze Untersuchung also schwer und unklar auch schon
längst Gras darüber gewachsen.
-
- Dort angekommen geht er nach dem noch
von Preußischer Seite angestellten
Regierungspräsidenten von Coninx und frägt ihn
um Rath, der aber sagt gleich, er möge den Hermann
W. ganz ungekränkt lassen, 24jährige Sklaverei
wäre nach dem Gesetze dem Tode gleich gesetzt. Und
so fährt er wieder nach Haus und lässt dem
Hermann W. sagen, dass er ganz frei und unbeschwert leben
dürfe, und er möge bei Gelegenheit einmal zu
ihm kommen.
-
- Da meldet einen Nachmittag, als die
Familie beim Kaffee sitzt, der Bediente der Algierer sei
da und wolle gern den gnädigen Herrn sprechen Auf
den Befehl, er solle ihn nur herein weisen, tritt ein
kleiner krüpplicht bucklichter Kerl herein, ganz
kümmerlich aussehend, der auf die Frage, ob er der
Hermann Winkehanns sey und wie es ihm ergangen,
dieß erst nach mehrmaliger Wiederholung versteht,
und dann in einer Sprache antwortet deren Zusammenhang
wieder niemand im Zimmer versteht, und die ein Gemisch
scheint von wenig Deutsch und Holländisch, mehr
Französisch und Italiänisch und Türkisch,
wie sie die Sclaven in der Barbarei unter einander
sprechen. Erst nach mehreren Monaten, als er unter seinen
Verwandten wieder gebrochen Deutsch gelernt und mehrmals
und oft wieder gekommen, hat er sich dem Drosten ganz
verständlich machen können, der ihm nach und
nach seine Geschichte abgefragt.
-
- Da hat ihn einsmals auch der Drost
gefragt: "nu seg mal Hermen, du brukst ja jetz doch nix
mer to förchten, wi is dat kumen med den Jauden dat
du den vor de Blesse schlahen hest?" "Ach dat well ek er
Gnaden seggen, ek wull' en nich daut schlahen, sunnern
men düet dörchprügeln, wi ek en averst sau
an den Kragen fatte da ritt he sik loß, un gav mi
einen med sinen dören Stock, dei mi höllisch
wei deihe, da schlog ek en in der Bosheit med minen
Knüppel glik övern Kopp dat he flugs tosammen
stört asse 'n Taskenmest. Da dacht ek: nu is et doch
verbi, nu sust 'n auck ganz daut schlahen."
-
- Wie er ihn nun todt vor sich liegen
gesehen, da wäre die Angst über ihn gekommen,
und wäre nicht wieder zu seinem Herrn nach
Ovenhausen gegangen sondern nach Hause, und da sein Vater
darüber verwundert, habe er ihm gesagt er hätte
Streit mit seinem Brodherrn bekommen und sei aus dem
Dienst gegangen. Da sei denn aber auf einmal die
Nachricht von dem Morde gekommen, und sein Vater um jenen
Prozess wissend habe ihn scharf angesehen: "Hermen Hermen
med di is et nich richtig, du hest wat up de Seele, give
Gott dat et nich Unglück un Schanne is." Nun
hätte er am Mittag in der Hausthür gestanden,
als er die Gerichtsdiener von der einen Seite und den
gnädigen Herrn von der andern im Dorf herauf kommen
gesehen. Da hätte er wohl gemerkt dass es auf ihn
abgesehen, und sei in die Stube gesprungen und hätte
seinem Vater gesagt; er solle ihn nicht verrathen; und da
der Gerichtsdiener schon vor dem Hause, sei er zum
Fenster hinaus in den Garten in die Vicebohnen
gesprungen. Da hätte er denn hören können
wie sie nach ihm gefragt, und sei in der
größten Angst gewesen weil das Fenster noch
offen, und wenn sie da recht zugesehen so würden sie
die Fußtapfen im umgegrabenen Lande haben sehen
können, wo er heraus gesprungen, bis in die
Vicebohnen, einmahl habe der gnädige Herr zum
Fenster heraus gesehen, da habe er in höchster Angst
das Gelübde gethan, baarfuß nach Werl zu
wallfahrten wenn ihn niemand sähe. Da hatte ihn die
Mutter Gottes erhört und ihn niemand entdeckt, als
es aber Nacht geworden da sei er leise über den Zaun
gestiegen und queer durch den Garten zum Dorf hinaus. Auf
der Höhe nach dem kleinen Kiel zu habe er sich noch
einmal umgesehen, da hatte er die Lichter im Dorfe
gesehen und die Hunde hatten gebellt, damahls habe er
gemeint er kriegt es nun wohl sein Lebtage nicht wieder
zu sehen. Und er hätte Schuh und Strümpfe
ausgezogen, und wäre, den Rosenkranz betend,
über die Hölzer ins Lippische hinein gegangen,
und den zweiten Abend sei er in Werl angelangt. Ganz
früh am andern Morgen habe er gebeichtet und
communicirt, und er habe noch einen halben Gulden gehabt,
den habe er der Mutter Gottes als Opferpfennig gegeben,
da sei ihm ganz frisch zu Sinne geworden, und wie er aus
der Kirche getreten, da sei die Sonne eben durch die
Bäume aufgegangen, die auf dem Kirchhof stehen, und
die Schatten davon waren alle nach Holland gelaufen, da
hatte er gedacht: ich muss auch wohl dahin, und wäre
munter zugeschritten.
-
- In Holland half er sich bis zum
Frühjahr mit Taglohn durch, dann ließ er sich
zum Matrosen anwerben, worauf er nach einigen Reisen in
Englische Häfen, nach Genua kam und sich dort
während einer Ruhe von mehreren Monaten, durch
höheren Lohn gereizt, auf einen Genuesischen
Kauffahrer dingen ließ, der in die Levante
schiffte, obgleich seine holländischen Cammeraden
eifrig abriethen, ihm die Gefahr, von Piraten gefasst zu
werden, vorstellend. Es ging auch glücklich das
erstemal, da ließ er seinen Contract noch einmal
verlängern; als er aber das drittemal dieselbe Reise
machte, ward das Schiff im Sicilischen Meer von
Seeräubern genommen, und in den Hafen von Algier
gebracht.
-
- Auf dem Sklavenmarkt kaufte ihn der
Vezir des Dei, ein Renegat mit Namen Casnatzi und da er
ein wackerer tüchtiger Bursch war, hatte er es gut
bei ihm, ja er machte ihn, da er etwas schreiben und ein
wenig Italienisch und Französisch konnte, zu seinem
Haushofmeister. Aus dieser Zeit rührt jener Brief
her, den er an den Fürstbischof geschrieben Aber die
Herrlichkeit dauerte nicht lang; der Vezir fiel
plötzlich in Ungnade und ward strangulirt, sein
Vermögen verfiel dem Dei, und seine Sklaven wurden
öffentliche Sklaven. Da fing sein eigentliches Elend
an, und dauerte 17 Jahre hindurch bis zu seiner
Befreiung. Die Sklaven mussten große Steine auf
Schleifen aus dem Lande nach dem Molo ziehen, oft 20 vor
einen Stein gekuppelt, in schärfster Hitze durch den
glühenden Sand, und dazu nichts als 1 Pfund Brod,
und ein kleines Maaß mit Oehl und Weinessig Dabei
hätten die Aufseher auch nicht gespaßt und wie
einer niedergesunken aus Mattigkeit, hätten sie
darauf geschlagen bis er wieder munter. Da sei einmal
eines Tags, als einer der Aufseher grad frisch darauf
geschlagen, ein Derwisch in der Ferne vorüber
gegangen; der wäre, es ansehend, still gestanden,
und ihn zu sich winkend, hätten sie an den Geberden
gesehen, dass er ihm ins Herz geredet, oft mit der Hand
nach dem Himmel zeigend, da hätte der Aufseher die
Erde geküsst und dem Derwisch die Hand, und als er
wieder zu ihnen gekommen, sei er ganz veändert
gewesen, und 2 Wochen ganz mild. Alle Jahr ein paarmal
wäre der Dei auf einem Spazierritt bei ihnen vorbei
gekommen, und wie sie ihn auf ihren Knieen um Gnade
gebeten, habe er eine Hand voll Zechinen ausgeworfen
welche sie gesammelt und dem Schwedischen Consul gebracht
hätten. Der hätte sie dann insgesammt an
gewissen Tagen losgekauft und ihnen einmal satt und gut
zu essen gegeben.
-
- Ein Paar Jahre hielt der
kräftige Körper Hermanns dies Leben aus, als er
aber einstmals einen Sack mit vielen Brodten tragend
darunter niedergestürzt ist, dergestalt dass er
mehrere Knochen im Rücken gebrochen, haben sie ihn
in ein Loch geworfen da er dann so lang gelegen bis er
heil gewesen, und weil er nicht verbunden, so ist er ganz
krumm in einander gewachsen. Doch hätte sie das Volk
mit einigem Mitleiden betrachtet, ja als die Revolution
gegen die Juden ausgebrochen und diese mit dem sie
begünstigenden Dei alle ermordet wurden, hätten
sie gedacht die Reihe würde nun an sie kommen und
viele von ihnen hätten es wohl gewünscht, aber
sie wären unberührt unter der wogenden Menge
umher gegangen. Oft hatte ihn, als er noch bei dem Vezir
gewesen, dieser bereden wollen auch Renegat zu werden und
ihm dann groß Glück und Ehre versprochen, er
hat aber nicht gewollt.
-
- Endlich als 1806 Hieronymus Bonaparte
den Dei gezwungen die Christen-Sklaven frei zu geben, ist
auch Hermann befreit worden, und an der italienischen
Küste ausgesetzt, mit 8 Kronen beschenkt, ist er
nach seiner Heimath gewandert.
-
- Das war der Inhalt seiner
Erzählung, die der Drost so nach und nach ihm
abfrug. Zu Hause ging es ihm aber traurig, sein Bruder
sah ihn nur ungern, arbeiten konnte er nur wenig, dabei
klagte er über unausstehliche Kälte.
-
- Während der Curzeit ging er oft
nach dem Driburger Brunnen, bettelnd und wer sie
hören wollte, seine Geschichte erzählend. Im
Spätherbst kam er noch einmal zu dem Drost H..n, und
auf dessen Frage, da er nach erhaltenem Almosen noch
stehen bleibt, "ob er noch was besonders wolle?" klagt er
erst nochmals seine Noth und bittet zuletzt flehentlich
ob ihn der Drost nicht könne ganz zu sich nehmen, er
wolle ja gern all die kleine Arbeit eines Hausknechts
thun; das schlug dieser ihm aber rund ab, aus dem
unangenehmen Gefühl einen vorsetzlichen Mörder
unter dem Dache zu haben.
-
- Als zwei Tage darauf der Domherr Carl
H..n früh auf die Jagd ging, kommt er über die
Stoppeln an dem Pflüger Kerkhoff aus Bellersen
vorbei, der ihm erzahlt, sie hätten vor einer Stunde
den Algierer im Kiel an einem Baum hangen gefunden. Da
hat der Drost die Gemeindevorsteher zu sich kommen lassen
und sie gebeten, dem Menschen, über dem ein
ungeheueres Unglück am Himmel gestanden, nun auch
ein ehrliches Begräbniß zu geben, und ihn
nicht wie sonst Selbstmördern geschieht in der
Dachtraufe oder hinter der Kirchhofs-Mauer einzuscharren,
welches sie auch versprochen und gehalten haben. Erst
nach 8 Tagen führten die einzelnen Fäden
über seine letzte Geschichte und seinen Tod zu einem
Knoten, der wie sein Schicksal selbst, das ihn
überall an den unsichtbaren Fäden hielt, in
seinem Tod gelöst ward. Spät Abends an dem Tage
als er von dem Droste jene abschlägige Antwort
erhalten, pocht er in Holzhausen, 2 Stunden weiter,
heftig an die Thüre des ersten Hauses am Wege
rechts, und als ihm aufgemacht und er gefragt wird, was
er wolle, stürzt er leichenblass und in furchtbarer
Angst ins Haus, und bittet um Gottes und aller Heiligen
Willen, ihn die Nacht bei sich zu behalten; und auf die
Frage, was ihm denn in aller Welt wiederfahren,
erzählt er, wie er übers Holz gekommen habe ihn
eine große lange Frau eingeholt und ihn gezwungen
ein schweres Bund Dörner zu tragen und ihn
angetrieben wenn er still gestanden, da hatten sich die
Dörner ihm alle ins Fleisch gedrückt, und er
hatte an zu laufen gefangen, und sei so keuchend in
großer Angst vor's Dorf gekommen, da sei die Frau
fort gewesen, und sie möchten ihn nur die Nacht
behalten, er wolle den andern Tag wieder nach Hause.
-
- Früh fortgegangen, ist er gegen
Mittag auf die Glaserhütte zur Emde gekommen, wo er
oft Almosen erhalten, und hat um ein Glas Branntewein
gebeten, und als er getrunken, um noch eins, da ist ihm
auch das dritte gegeben worden, worauf er gesagt, nun
wolle er nach Hause. Wie er aber an den Kiel gekommen,
nicht weit von der Stelle, wo er vor 24 Jahren die Schuhe
zur Wallfahrt ausgezogen, da hat er eine Leine von einem
nahen Pflug genommen, und sich damit an einen Baum
gehenkt und zwar so niedrig, dass er mit den
Füßen das Herbstlaub unter sich weggescharret
hat.
-
- Als ihm einst der Drost die
Geschichte mit dem Baum und den Zeichen die die Juden
darein geschnitten erzählt, und wie sie bedeuteten,
dass er keines rechten Todes sterben solle, hat er
geantwortet: "O dat sull ek doch nich denken, ek hawwe
doch so lange davör Buße daen un hawwe vaste
an minen Gloven halen, asse se meck överreen wullen,
en abtoschwören".
-
- So hat der Mensch 17 Jahre ungebeugt
und ohne Verzweifelung die härteste Sklaverei des
Leibes und Geistes ertragen, aber die Freiheit und volle
Straflosigkeit hat er nicht ertragen dürfen. Er
musste sein Schicksal erfüllen, und weil Blut
für Blut, Leben für Leben eingesetzt ist, ihn
aber menschliches Gesetz nicht mehr erreichte, hat er,
nachdem er lange Jahre fern umher geschweift, wieder
durch des Geschicks geheimnißvolle Gewalt zu dem
Kreis, Ort und Boden des Verbrechens zurückgebannt,
dort sich selbst Gerechtigkeit geübt.
-
- Zwei Jahre nach seinem Tode ist jener
Baum, worein die Juden ihre dunklen Zeichen geschnitten
umgehauen worden. Die Rinde aber hatte diese in den
langen Jahren herausgewachsen, dass man ihre Form und
Gestaltung nicht mehr erkennen konnte.
-
- Wünschelruthe. Ein Zeitblatt.
Nr. 11-15, 5.-19.2.1818, S. 41 f., 46 f., 50 f., 55, 59
f.
- (Aus: Oldenbourg.Interpretationen mit
Unterrichtshilfen. Herausgegeben von Bernhard Sowinski
und Reinhard Meurer, Band 33. Annette von
Droste-Hülshoff. Die Judenbuche, interpretiert von
Heinz Rölleke, München 1993)
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