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Einführung

Ahlbeck
Bansin
Heringdorf
Peenemünde
Usedom (Stadt)

Wolgast

Usedom im Herbst
Text und Fotos: © Martin Schlu 2016,  Stand: 16. April 2017        Artikel als pdf (3,6 MB/14 Seiten)


zurück  Geschichte - Anreise - Heringsdorf - Bansin - Ahlbeck  - Wolgast - Peenemünde - Stadt Usedom

Usedom gilt als Sonneninsel Deutschlands, liegt für ehemalige Bundesdeutsche am äußersten Ende der Ostzone (dahinter fängt Polen an) und im letzten Sommer konnte man auf NDR-MV an jedem Wochenende im Radio verfolgen, wie die Wartezeiten für Anreisende bis Sonntag mittag auf über zwei Stunden kletterten. Mecklenburg-Vorpommern hat in diesem Sommer einen Übernachtungsrekord aufgestellt und die 30-Millionen-Marke geknackt. Usedom alleine hat dabei 5 Millionen Übernachtungen gestemmt. Offenbar mußten die Familien in der Autoschlange immer erst warten, bis die Familien am Anfang der Schlange eingeparkt hatten und so war es klar, daß unser erster Besuch nicht im Sommer liegen würde.

Nun wollten wir auch wissen, was es in Usedom so Besonderes gibt und so sind wir Mitte Oktober losgefahren. Kraniche gucken würde man hier auch können, dachten wir und weil in MV ab Oktober Nebensaison ist, fanden wir für EUR 70.- pro Übernachtung eine luxuriös ausgestattete Wohnung mit zwei Bädern und zwei Balkonen drei Minuten vom Strand entfernt. Daß wir auf den beiden Balkonen abends den einen oder anderen Schoppen nehmen würde, dachten wir auch - aber es ist dann anders gekommen, denn statt einer Woche Sonne hatten wir eine Woche regnerisches Wetter.  C'est la vie.

Usedom in der Darstellung Mattäus Merians 1622
  Darstellung Usedoms 1622 von Mathias Merian (1593-1650)  Darstellung der Stralsunder Handschrift von 1615

Geschichte
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Im 30jährigen Krieg war Usedom ein Teil des Wallenstein'schen Herrschaftsbereichs (nachdem Wallenstein zum Herzog von Mecklenburg ernannt worden war). Nachdem der dänische König Christian IV. 1628 seine Soldaten an der Mündung der Peene in Usedom abgesetzt hatte, versuchte er diesen Teil von Mecklenburg bis Wolgast zu erobern, wurde jedoch am 2. September 1628greg. (= 23. August nach dem julianischen Kalender) von Wallenstein mit ca. 8.000 Soldaten wieder vetrieben. Wallenstein ließ nun an der Nordspitze Peenemündes eine Festung errichten (Peenemünder Schanze) um weitere Invasionen zu verhindern. Das klappte aber nicht, weil nach knapp zwei Jahren der schwedische König Gustav Adolf am 6. Juli 1630 mit etwa 13.000 Soldaten diese Festung eroberte und mit seinem Heer über Stettin, Berlin, Frankfurt/Oder und Leipzig nach Süden marschieren konnte. Gustav Adolf gewann dabei soviel Einfluß, daß selbst noch viele Jahre nach seinem Tod 1632
Usedom in den Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück 1648 schwedisch blieb und mit Pommern nicht mehr zum deutschen Staatenbund gehörte, auch wenn der schwedische König nicht König von Pommern sein konnte, sondern nur Herzog in Pommern (das ist eine andere Geschichte).

Mehrere Male danach gab es Auseinandersetzungen zwischen schwedischen und preußischen Heeren, bis 1713 Usedom wieder preußisch wurde. Nun wurde die Swine ausgebaut, denn Usedom war eher ein Hindernis als eine Wohngegend und so gab es außer der Stadt Usedom lange Zeit nur einzelne Fischersiedlungen, aber jede Menge dichte Waldgebiete.

Auf der Insel gab es seit dem Mittelalter allerdings zwei Güter, Mellenthin und Gothen, die nach der „Eingemeindung“ 1713 an den preußischen Staat fielen. 1817 konnte der Bankier Georg Bernhard von Bülow die Reste von Gothen vom preußischen Staat kaufen. Weil die dazugehörigen Ländereien bis an die Ostsee gingen, ergab sich die Möglichkeit dort zu spekulieren und nachdem zwischen Ahlbeck und Bansin Teile des Waldes gerodet waren, wurde dort eine Art Fischfabrik für Heringe errichtet, ein „Heringsdorf“. König Friedrich Wilhelm III. besuchte als junger Konprinz diesen Ort, der eigentlich in erster Linie den Handel verbessern sollte und soll angeblich den Namen für dieses Kaff gewählt haben.

Weil Pommern wirtschaftlichen Aufschwung versprach, investierten Bankiers wie Hugo und Adelbert Delbrück und die Kölner Bank Sal. Oppenheim in den nächsten dreißig Jahren in die  Eisenbahnlinien Berlin-Wolgast, Heringsdorf-Swinemünde und andere Strecken, kauften und verkauften Land zur touristischen Erschließung für Straßen, Promenaden, Seebrücken, Hotels, Villen, Pensionen und Badeanstalten und finanzierten alles durch Staatsanleihen, für die der preußische Staat bürgte. Als das neue Urlaubsparadies fertig war, kam Kronprinz Friedrich Wilhelm III. 1866 zum Baden, brachte Weib, Kinder und Hofstaat mit und gab Usedom durch diesen Besuch den Ritterschlag des Tourismus.

In Heringsdorf nächtigte Wilhelm bezeichnenderweise in einem Haus der Bankierbrüder Delbrück, die mittlerweile als „Financier des Preußischen Staates“ galten und  nur zu gut wußten, wie man Geld verdient - später gründete sie die Deutsche Bank, noch später war die Familie Delbrück im Dienst des Reichskanzleramts und noch später wurde aus dem Heringsdorf die „Aktiengesellschaft Seebad Heringsdorf“. Reicher als die Delbrücks war nur noch Gerson von Bleichröder, der als reichster Mann Preußens und als viertreichster Mann der Welt galt und der den Deal zwischen Banken und preußischem Staat einfädelt hatte. Im Prinzip war Usedom nach dem Kaiser-Besuch eine Adresse der Reichen und Adeligen geworden und weil die meistens dieser Gruppe aus der Reichshauptstadt kamen, wurde das Dorf die „Badewanne Berlins“ - noch schlimmer als es in Boltenhagen heute der Fall ist.

Villa Staudt, in der Wilhelm als Kronprinz übernachtete
Bild der Villa Staudt, in der Wilhelm als Kronprinz übernachtete - die Kaiserbüste wurde erst nach seinem Tod hinzugefügt.

Später, als Kaiser, schaffte Wilhelm I. den Besuch nicht mehr - erst sein Enkel Wilhelm II. wurde wieder regelmäßiger Gast. Als Kind wurde er in die familiäre Sommerfrische mitgebracht, als Erwachsener kam er weniger aus Badefreude, sondern, weil in Swinemünde öfter Seemanöver stattfanden, an denen Wilhelm II. als Beobachter gerne teilnahm. Bis heute hat jedes Kaff auf Usedom deswegen einen Kaiserhof, eine Kaiserstraße oder ein Hotel Kaiser Wilhelm und die örtlichen Friseure bieten eine „Kaiserwelle“ an - kein Witz.

Nach 1866 war die Insel also sehr angesagt und insbesondere Bankiers, Anwälte und Ärzte leisteten sich nun gerne Villen dort, denn um die Villen war es ruhig, der Strand war breit, der Sand weiß und für die Damen gab es ausreichend Badekarren. Weil die Hälfte dieser Berliner Eliten jüdisch war, hatte dies Konsequenzen für die späteren Besitzer in der NS-Zeit und weil man noch später - nämlich in der DDR - mit den Villen der ehemaligen Nazi-Nutznießer nichts mehr zu tun haben wollte, gammelten etliche Villen solange vor sich hin, bis sie einstürzten oder durch moderne Hotels des Sozialismus ersetzt wurden. Was heute noch an alten Villen steht, ist die Ausnahme - unter einer Million ist an eine kleine heruntergekommene Villa nicht zu denken und Wohnungen in Venedig sind billiger.

Links zur Geschichte Usedom
https://de.wikipedia.org/wiki/Usedom#17._bis_18._Jahrhundert
https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Wolgast
https://de.wikipedia.org/wiki/Peenem%C3%BCnder_Schanze
https://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/barock/staendekonfession/krieg/1625.htm
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_II._Adolf_(Schweden)
http://www.insel-usedom.net/news9.htm


Anreise und erster Tag
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Sonntag, kurz nach neun, starten wir von Rostock, nehmen die A 20 Richtung Stralsund und werden vor der Ausfahrt Greifswald auf die B 109 geleitet. Südlich dieser Stadt gibt es nur noch Felder und Wiesen und auf einmal sehe ich im Rückspiegel das Panorama, das ich von Caspar David Friedrich kenne. Blöderweise kann man nicht anhalten und so kann ich auch nicht überprüfen, ob die Perspektive die Gleiche ist wie die auf dem Bild, aber es sieht einen Moment so aus, als sei die Zeit stehengeblieben. Nach einem Abzweig zur B 111 passieren wir bei Wolgast die Peene über eine Klappbrücke, die alle passieren, die nach Usedom wollen und da diese Brücke jede Stunde für 15 Minuten offen bleibt, ist das die Sollbruchstelle, die bei Hochbetrieb dafür sorgt, daß der Stau der Urlauber wächst. Weil sie blau angestrichen und eine größere technische Leistung ist, heißt sie im Volksmund auch „Blaues Wunder“ (so etwas habe ich allerdings auch schon mal über eine Dresdner Brücke gehört). Weiter geht es die B 111 parallel zur Ostsee, die man allerdings nur im Navi sehen kann, denn zwischen Straße und Meer gibt es immer Wäldchen, Radwege und die Promenade - übrigens die längste Promenade Deutschlands, denn man kann bis Swinemünde durchlaufen, wenn man das will. Das Wetter ist ein bißchen regnerisch und kühl, die Temperatur liegt bei sechs Grad und so holen wir uns gegen halb eins den Schlüssel zur Fewo, schwatzen ein bißchen mit der Verwalterin und machen uns erst mal einen heißen Tee. Das Wasser ist zwar weniger kalkhaltiger als in Rostock (15,6 gegenüber 16,4 dH), doch in Bonn sind wir mit 6,3 dH verwöhnt - also werden wir Mineralwasser aus den Flaschen kaufen, wie man das aus Spanien oder Italien kennt. Der Tee schmeckt einfach besser, der Kaffee auch.

Nach dem Einkaufen und der Teepause suchen wir den Strand und finden jede Menge alter Villen, die vermutlich vor und um 1900 gebaut worden sein dürften. Allerdings gibt es auch verfallene Villen, die vermutlich bei Engl & Völkers für einen siebenstelligen Betrag zu erwerben sind. Wenn man eine Million über hat, kann man sich also überlegen, ob man restauriert oder neu baut. Leider habe ich dieses Problem nicht.

verfallene Villa in Strandnähe
Villa in Strandnähe, leicht renovierungsbedürftig, zentrale Lage, fließend Wasser an der Wand...



Bansin - nach oben
Nachdem wir Heringsdorf kennengelernt haben, laufen wir über die Promenade nach Bansin (von Heringsdorf das Meer rechts liegen lassen),  denn dieser Ort soll nicht so kommerzialisiert sein wie Heringsdorf. Der Weg ist eines der Highlights, denn es geht manchmal an alten Häusern vorbei, die noch nicht in Fewos umgebaut wurden und da leben ganz normale Menschen. Die Dünen sind schön und wenn man an der Seebrücke bei den alten Badekarren angelangt ist, weiß man, daß man alles Wichtige gesehen hat. Es ist auf jeden Fall verschlafener, es gibt Leerstände und außerhalb der Seebrücke tut sich nicht viel.

Wo man auch immer seine Ferienwohnung hat - der Strand ist zwischen Peenemünde im Norden bis ins polnische Swinemünde im Süden immer der gleiche: etwa 30 Meter breit und vierzig Kilometer lang schnurgerade. Abseits der Promenade - entlang der B111 liegen die üblichen Supermärkte, Tankstellen, Autohändler und ab und zu ein Kinderbespaßungs-Highlight.

Bansin wird ziemlich zugebaut Die Badekarren stehen zur Dekoration da
Bansin wird ziemlich zugebaut - hier, an die Seebrücke -
kommt noch ein Hotel hin.

Die Badekarren stehen zur Dekoration da - vielleicht kann man sie sogar mieten, wenn man es stilecht haben will.

Links zu Bansin
http://www.bansin.m-vp.de/
https://de.wikipedia.org/wiki/Bansin
http://www.insel-usedom.net/bansin.htm
https://www.youtube.com/watch?v=pU0q0YxLIuk (Video von 1970)



Ahlbeck - nach oben
Dieser Ort liegt zwischen Heringsdorf und Swinemünde und ist - je nach Konstitution - bequem in einer guten halben Stunde über die Promenade zu erlaufen (von Heringsdorf aus das Meer links liegen lassen). Ahlbeck ist nicht so schick wie Heringsdorf, hat aber irgendwie mehr Charme, weil es alles eine Nummer kleiner und bodenständiger ist. Es gibt noch Fischverkäufer, die ihren Verkauf vom örtlichen Fischer beziehen, auch wenn man die am Ahlbecker Strand ihren Kutter nicht auf den Sand ziehen lassen können (wie es in Nörre Voropør in Dänemark geschieht), aber es ist hier von allen drei Kaiserbädern am sympathischsten und wenn ich nochmal nach Usedom komme, leiste ich mir hier in einer alten Villa ein Appartement mit Meerblick.


Seebrücke in Ahlbeck
Das Zentrum von Ahlbeck
Die Seebrücke ist erheblich bescheidener als in Heringsdorf, sie gammelt leicht vor sich hin und ist - wie ich - in die Jahre gekommen.

Das Zentrum von Ahlbeck ist auch nicht ganz so flammneu, aber es wirkt ähnlich wie die Seebrücke und es ist nicht so protzig wie anderswo



Links zu Ahlbeck
http://www.ahlbeck.m-vp.de/
https://de.wikipedia.org/wiki/Ahlbeck_(Heringsdorf)
http://www.insel-usedom.net/ahlbeck.htm



Stadt Usedom - nach oben
Am letzten Tag soll es den ganzen Tag regnerisch bleiben und das ist ein Grund, die Insel mit dem Auto zu erkunden. Wir sind fast immer am Ostseestrand gewesen und nun geht es ins Landesinnere. Die frühere Hauptstadt heißt wie die Insel und wenn man die alten Darstellungen sieht, war sie wohl keine arme Stadt. Mal sehen, was davon übrige geblieben ist. Auf der Darstellung der Stralsunder Handschrift und der Zeichnung von Matthäus Merian sieht man eine reiche Stadt mit befestigter Stadtmauer.

Hier die Darstellung aus der Stralsunder Bilderhandschrift von 1615
Hier die Darstellung aus der Stralsunder Bilderhandschrift von 1615 - Darstellung der Merian-Karte von 1622

Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus, denn die Stadt Usedom ist mit Heringsdorf überhaupt nicht mehr vergleichbar. Es sieht noch schlimmer aus als in Wolgast, es gibt noch mehr Leerstand und Verfall und die Jungen sind im Straßenbild fast nicht mehr zu sehen. Die Bäckerei hat offen, die Kirche hat noch die alten Kohleöfen (einen am Altar, einen am Ausgang), der Metzger hat zugemacht, das Hotel am Markt hat zugemacht, vor der Kirche verkauft ein ärmlicher Mann die Sachen, die man zwischen der polnischen Grenze und Swinemünde auf dem „Polenmarkt“ kaufen kann (dunkelblaue Daunenjacken, Zigaretten und Alkohol) und am Markt haben die geschlossenen Läden leider die Mehrheit. Man sieht förmlich die Verzweiflung derer, die ohne Perspektive bleiben müssen und daß der Laden an der Swinemünder Straße in einem heruntergekommenen Laden Ostalgiedevotionalien anbietet, ist wahrscheinlich eher Galgenhumor.

keine Ostalgie, eher Hoffnungslosigkeit
Keine Ostalgie - eher Armut.

Das einzig Tröstliche ist ein relativ neu eröffnetes Geschäft, die „Spinndoenz“. Eine kurze Recherche ergibt, daß sich dieser Laden auf Tradition besonnen hat,  Handgesponnenes verkauft und sich als eine Kombination aus Naturwarenladen und Werkstatt versteht. Davon braucht dieser Ort sicher mehr, denn warum soll ich als Tourist etwas kaufen, was jeder Souvenirladen in gleicher Form verkauft und was irgendwo zwischen China und Vietnam hergestellt wurde. Dann lieber was Echtes.

De Spenndoenz - ein hoffnungsvoller Laden

Trotzdem ist in Usedom Stadt noch viel zu tun. Fahren Sie hin, lassen Sie Geld da und übernachten Sie nicht in Heringsdorf, sondern im Landesinnern. Fahren müssen Sie sowieso.

Links zur Stadt Usedom
https://de.wikipedia.org/wiki/Usedom_(Stadt)
http://www.usedom.de/orte/staedte/stadt-usedom.html
http://www.stadt-usedom-cam.de/
http://www.spinndoenz.de/assets/s2dmain.html?http://www.spinndoenz.de/

 
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