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Frühromantik
Eduard Mörike:
Die schöne Lau
Im Schwabenlande, auf der Alb, bei dem Städtlein Blaubeuren,
dicht hinter dem alten Mönchskloster, sieht man nächst
einer jähen Felsenwand den großen runden Kessel einer
wundersamen Quelle, der Blautopf genannt. Gen Morgen sendet er ein
Flüßchen aus, die Blau, welche der Donau zufällt.
Dieser Teich ist einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser
von Farbe ganz blau, sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben;
wenn man es aber schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.
Zuunterst auf dem Grund saß ehmals eine Wasserfrau mit langen
fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen,
natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, daß sie zwischen
den Fingern und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß
und zärter als ein Blatt vom Mohn. Im Städtlein ist noch
heutzutag ein alter Bau, vormals ein Frauenkloster, hernach zu einer
großen Wirtschaft eingerichtet und hieß darum der Nonnenhof.
Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildnis von dem Wasserweib,
trotz Rauch und Alter noch wohl kenntlich in den Farben. Da hatte
sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht
sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche
sehr groß waren, blau. Beim Volk hieß sie die arge Lau
im Topf, auch wohl die schöne Lau. Gegen die Menschen erzeigte
sie sich bald böse, bald gut. Zuzeiten, wenn sie im Unmut den
Gumpen übergehen ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr,
dann brachten ihr die Bürger in einem feierlichen Aufzug oft
Geschenke, sie zu begütigen, als: Gold- und Silbergeschirr,
Becher, Schalen, kleine Messer und andre Dinge, dawider zwar, als
einen heidnischen Gebrauch und Götzendienst, die Mönche
redlich eiferten, bis derselbe auch endlich ganz abgestellt worden.
So feind darum die Wasserfrau dem Kloster war, geschah es doch nicht
selten, wenn Pater Emeran die Orgel drüben schlug und kein
Mensch in der Nähe war, daß sie am lichten Tag mit halbem
Leib heraufkam und zuhorchte; dabei trug sie zuweilen einen Kranz
von breiten Blättern auf dem Kopf und auch dergleichen um den
Hals.
Ein frecher Hirtenjung' belauschte sie einmal in dem Gebüsch
und rief: "Hei, Laubfrosch! git's guat Wetter?" Geschwinder als
ein Blitz und giftiger als eine Otter fuhr sie heraus, ergriff den
Knaben beim Schopf und riß ihn mit hinunter in eine ihrer
nassen Kammern, wo sie den ohnmächtig gewordenen jämmerlich
verschmachten und verfaulen lassen wollte. Bald aber kam er wieder
zu sich, fand eine Tür und kam, über Stufen und Gänge,
durch viele Gemächer in einen schönen Saal. Hier war es
lieblich, glusam mitten im Winter. In einer Ecke brannte, indem
die Lau und ihre Dienerschaft schon schlief, auf einem hohen Leuchter
mit goldenen Vogelfüßen als Nachtlicht eine Ampel. Es
stand viel köstlicher Hausrat herum an den Wänden, und
diese waren samt dem Estrich ganz mit Teppichen staffiert, Bildweberei
in allen Farben. Der Knabe hurtig nahm das Licht herunter von dem
Stock, sah sich in Eile um, was er noch sonst erwischen möchte,
und griff aus einem Schrank etwas heraus, das stak in einem Beutel
und war mächtig schwer, deswegen er vermeinte, es sei Gold;
lief dann und kam vor ein erzenes Pförtlein, das mochte in
der Dicke gut zwo Fäuste sein, schob die Riegel zurück
und stieg eine steinerne Treppe hinauf in unterschiedlichen Absätzen,
bald links, bald wieder rechts, gewiß vierhundert Stufen,
bis sie zuletzt ausgingen und er auf ungeräumte Klüfte
stieß; da mußte er das Licht dahinten lassen und kletterte
so mit Gefahr seines Lebens noch eine Stunde lang im Finstern hin
und her, dann aber brachte er den Kopf auf einmal aus der Erde.
Es war tief Nacht und dicker Wald um ihn. Als er nach vielem Irregehen
endlich mit der ersten Morgenhelle auf gänge Pfade kam und
von dem Felsen aus das Städtlein unten erblickte, verlangte
ihn am Tag zu sehen, was in dem Beutel wäre; da war es weiter
nichts als ein Stück Blei, ein schwerer Kegel, spannenlang,
mit einem Öhr an seinem oberen Ende, weiß vor Alter.
Im Zorn warf er den Plunder weg, ins Tal hinab, und sagte nachher
weiter niemand von dem Raub, weil er sich dessen schämte. Doch
kam von ihm die erste Kunde von der Wohnung der Wasserfrau unter
die Leute.
Nun ist zu wissen, daß die schöne Lau nicht hier am
Ort zu Hause war; vielmehr war sie, als eine Fürstentochter,
und zwar, von Mutterseiten her halbmenschlichen Geblüts, mit
einem alten Donaunix am Schwarzen Meer vermählt. Ihr Mann verbannte
sie, darum, daß sie nur tote Kinder hatte. Das aber kam, weil
sie stets traurig war, ohn' einige besondere Ursach'. Die Schwiegermutter
hatte ihr geweissagt, sie möge eher nicht eines lebenden Kindes
genesen, als bis sie fünfmal von Herzen gelacht haben würde.
Beim fünften Male müßte etwas sein, das dürfe
sie nicht wissen, noch auch der alte Nix. Es wollte aber damit niemals
glücken, soviel auch ihre Leute deshalb Fleiß anwendeten;
endlich da mochte sie der alte König ferner nicht an seinem
Hofe leiden und sandte sie an diesen Ort, unweit der obern Donau,
wo seine Schwester wohnte. Die Schwiegermutter hatte ihr zum Dienst
und Zeitvertreib etliche Kammerzofen und Mägde mitgegeben,
so muntere und kluge Mädchen, als je auf Entenfüßen
gingen (denn was von dem gemeinen Stamm der Wasserweiber ist, hat
rechte Entenfüße); die zogen sie, pur für die Langeweile,
sechsmal des Tages anders an - denn außerhalb dem Wasser ging
sie in köstlichen Gewändern, doch barfuß - erzählten
ihr alte Geschichten und Mären, machten Musik, tanzten und
scherzten vor ihr. An jenem Saal, darin der Hirtenbub gewesen, war
der Fürstin ihr Gaden oder Schlafgemach, von welchem eine Treppe
in den Blautopf ging. Da lag sie manchen lieben Tag und manche Sommernacht,
der Kühlung wegen. Auch hatte sie allerlei lustige Tiere, wie
Vögel, Küllhasen und Affen, vornehmlich aber einen possigen
Zwerg, durch welchen vormals einem Ohm der Fürstin war von
ebensolcher Traurigkeit geholfen worden. Sie spielte alle Abend
Damenziehen, Schachzagel oder Schaf und Wolf mit ihm; sooft er einen
ungeschickten Zug getan, schnitt er die raresten Gesichter, keines
dem andern gleich, nein, immer eines ärger als das andere,
daß auch der weise Salomo das Lachen nicht gehalten hätte,
geschweige denn die Kammerjungfern oder du selber, liebe Leserin,
wärst du dabei gewesen; nur bei der schönen Lau schlug
eben gar nichts an, kaum daß sie ein paarmal den Mund verzog.
Es kamen alle Jahr um Winters Anfang Boten von daheim, die klopften
an der Halle mit dem Hammer, da frugen dann die Jungfern:
- "Wer pochet, daß einem das Herz erschrickt?"
Und jene sprachen:
- "Der König schickt!
- Gebt uns wahrhaftigen Bescheid,
- Was Guts ihr habt geschafft die Zeit."
Und sie sagten:
- "Wir haben die ferndigen Lieder gesungen
- Und haben die ferndigen Tänze gesprungen,
- Gewonnen war es um ein Haar! -
- Kommt, liebe Herren, übers Jahr."
So zogen sie wieder nach Haus. Die Frau war aber vor der Botschaft
und darnach stets noch einmal so traurig.
Im Nonnenhof war eine dicke Wirtin, Frau Betha Seysolffin, ein
frohes Biederweib, christlich, leutselig, gütig; zumal an armen
reisenden Gesellen bewies sie sich als eine rechte Fremdenmutter.
Die Wirtschaft führte zumeist ihr ältster Sohn, Stephan,
welcher verehlicht war; ein anderer, Xaver, war Klosterkoch, zwo
Töchter noch bei ihr. Sie hatte einen kleinen Küchengarten
vor der Stadt, dem Topf zunächst. Als sie im Frühjahr
einst am ersten warmen Tag dort war und ihre Beete richtete, den
Kappis, den Salat zu säen, Bohnen und Zwiebel zu stecken, besah
sie sich von ungefähr auch einmal recht mit Wohlgefallen wieder
das schöne blaue Wasser überm Zaun und mit Verdruß
daneben einen alten garstigen Schutthügel, der schändete
den ganzen Platz; nahm also, wie sie fertig war mit ihrer Arbeit
und das Gartentürlein hinter sich zugemacht hatte, die Hacke
noch einmal, riß flink das gröbste Unkraut aus, erlas
etliche Kürbiskern' aus ihrem Samenkorb und steckte hin und
wieder einen in den Haufen. (Der Abt im Kloster, der die Wirtin,
als eine saubere Frau, gern sah - man hätte sie nicht über
vierzig Jahr geschätzt, er selber aber war gleich ihr ein starkbeleibter
Herr - stand just am Fenster oben und grüßte herüber,
indem er mit dem Finger drohte, als halte sie zu seiner Widersacherin.)
Die Wüstung grünte nun den ganzen Sommer, daß es
eine Freude war, und hingen dann im Herbst die großen gelben
Kürbis an dem Abhang nieder bis zu dem Teich.
Jetzt ging einsmals der Wirtin Tochter, Jutta, in den Keller, woselbst
sich noch von alten Zeiten her ein offener Brunnen mit einem steinernen
Kasten befand. Beim Schein des Lichts erblickte sie darinne mit
Entsetzen die schöne Lau, schwebend bis an die Brust im Wasser;
sprang voller Angst davon und sagt's der Mutter an; die fürchtete
sich nicht und stieg allein hinunter, litt auch nicht, daß
ihr der Sohn zum Schutz nachfolge, weil das Weib nackt war.
Der wunderliche Gast sprach diesen Gruß:
- "Die Wasserfrau ist kommen
- Gekrochen und geschwommen,
- Durch Gänge steinig, wüst und kraus,
- Zur Wirtin in das Nonnenhaus.
- Sie hat sich meinethalb gebückt,
- Mein' Topf geschmückt
- Mit Früchten und mit Ranken,
- Das muß ich billig danken."
-
Sie hatte einen Kreisel aus wasserhellem Stein in ihrer Hand, den
gab sie der Wirtin und sagte: "nehmt dieses Spielzeug, liebe Frau,
zu meinem Angedenken! Ihr werdet guten Nutzen davon haben. Denn
jüngsthin habe ich gehört, wie Ihr in Eurem Garten der
Nachbarin klagtet, Euch sei schon auf die Kirchweih angst, wo immer
die Bürger und Bauern zu Unfrieden kämen und Mord und
Totschlag zu befahren sei. Derhalben, liebe Frau, wenn wieder die
trunkenen Gäste bei Tanz und Zeche Streit beginnen, nehmt den
Topf zur Hand und dreht ihn vor der Tür des Saals im Öhrn,
da wird man hören durch das ganze Haus ein mächtiges und
herzliches Getöne, daß alle gleich die Fäuste werden
sinken lassen und guter Dinge sein, denn jählings ist ein jeder
nüchtern und gescheit geworden. Ist es an dem, so werfet Eure
Schürze auf den Topf, da wickelt er sich alsbald ein und lieget
stille."
So redete das Wasserweib. Frau Betha nahm vergnügt das Kleinod
samt der goldenen Schnur und dem Halter von Ebenholz, rief ihrer
Tochter Jutta her (sie stand nur hinter dem Krautfaß an der
Staffel), wies ihr die Gabe, dankte und lud die Frau, so oft die
Zeit ihr lang wär', freundlich ein zu fernerem Besuch, darauf
das Weib hinabfuhr und verschwand.
Es dauerte nicht lang, so wurde offenbar, welch einen Schatz die
Wirtschaft an dem Topf gewann. Denn nicht allein, daß er durch
seine Kraft und hohe Tugend die übeln Händel allezeit
in einer Kürze dämpfte, er brachte auch dem Gasthaus bald
erstaunliche Einkehr zuwege. Wer in die Gegend kam, gemein oder
vornehm, ging ihm zulieb'; insonderheit kam bald der Graf von Helfenstein,
von Wirtemberg und etliche große Prälaten; ja ein berühmter
Herzog aus Lombardenland, so bei dem Herzoge von Bayern gastweis
war und dieses Wegs nach Frankreich reiste, bot vieles Geld für
dieses Stück, wenn es die Wirtin lassen wollte. Gewiß
auch war in keinem andern Land seinesgleichen zu sehn und zu hören.
Erst, wenn er anhub sich zu drehen, ging es doucement her, dann
klang es stärker und stärker, so hoch wie tief, und immer
herrlicher, als wie der Schall von vielen Pfeifen, der quoll und
stieg durch alle Stockwerke bis unter das Dach und bis in den Keller,
dergestalt, daß alle Wände, Dielen, Säulen und Geländer
schienen davon erfüllt zu sein, zu tönen und zu schwellen.
Wenn nun das Tuch auf ihn geworfen wurde und er ohnmächtig
lag, so hörte gleichwohl die Musik sobald nicht auf, es zog
vielmehr der ausgeladene Schwall mit starkem Klingen, Dröhnen,
Summen noch wohl bei einer Viertelstunde hin und her.
Bei uns im Schwabenland heißt so ein Topf aus Holz gemeinhin
eine Habergeis; Frau Betha ihrer ward nach seinem vornehmsten Geschäfte
insgemein genannt der Bauren-Schwaiger. Er war gemacht aus einem
großen Amethyst, des Name besagen will: wider den Trunk, weil
er den schweren Dunst des Weins geschwinde aus dem Kopf vertreibt,
ja schon von Anbeginn dawider tut, daß einen guten Zecher
das Selige berühre; darum ihn auch weltlich und geistliche
Herren sonst häufig pflegten am Finger zu tragen.
Die Wasserfrau kam jeden Mond einmal, auch je und je unverhofft
zwischen der Zeit, weshalb die Wirtin eine Schelle richten ließ,
oben im Haus, mit einem Draht, der lief herunter an der Wand beim
Brunnen, damit sie sich gleichbald anzeigen konnte. Also ward sie
je mehr und mehr zutunlich zu den wackeren Frauen, der Mutter samt
den Töchtern und der Söhnerin.
Einsmals an einem Nachmittag im Sommer, da eben keine Gäste
kamen, der Sohn mit den Knechten und Mägden hinaus in das Heu
gefahren war, Frau Betha mit der Ältesten im Keller Wein abließ,
die Lau im Brunnen aber Kurzweil halben dem Geschäft zusah
und nun die Frauen noch ein wenig mit ihr plauderten, da fing die
Wirtin an: "Mögt Ihr Euch denn einmal in meinem Haus und Hof
umsehn? Die Jutta könnte Euch etwas von Kleidern geben; ihr
seid von einer Größe."
"Ja", sagte sie, "ich wollte lange gern die Wohnungen der Menschen
sehn, was alles sie darin gewerben, spinnen, weben, angleichen auch
wie Eure Töchter Hochzeit machen und ihre kleinen Kinder in
der Wiege schwenken." Da lief die Tochter fröhlich mit Eile
hinauf, ein rein Leintuch zu holen, bracht' es und half ihr aus
dem Kasten steigen, das tat sie sonder Mühe und lachenden Mundes.
Flugs schlug ihr die Dirne das Tuch um den Leib und führte
sie bei ihrer Hand eine schmale Stiege hinauf in der hintersten
Ecke des Kellers, da man durch eine Falltür oben gleich in
der Töchter Kammer gelangt. Allda ließ sie sich trocken
machen und saß auf einem Stuhl, indem ihr Jutta die Füße
abrieb. Wie diese ihr nun an die Sohle kam, fuhr sie zurück
und kicherte. "War's nicht gelacht?" frug sie selber sogleich. -"Was
anders?" rief das Mädchen und jauchzte: "gebenedeiet sei uns
der Tag! ein erstes Mal wär' es geglückt!" - Die Wirtin
hörte in der Küche das Gelächter und die Freude,
kam herein, begierig, wie es zugegangen, doch als sie die Ursach'
vernommen - du armer Tropf, so dachte sie, das wird ja schwerlich
gelten! - ließ sich indes nichts merken, und Jutte nahm etliche
Stücke heraus aus dem Schrank, das Beste was sie hatte, die
Hausfreundin zu kleiden. "Seht", sagte die Mutter: "sie will wohl
aus Euch eine Susann Preisnestel machen." - "Nein", rief die Lau
in ihrer Fröhlichkeit, "laß mich die Aschengruttel sein
in deinem Märchen!" - nahm einen schlechten runden Faltenrock
und eine Jacke; nicht Schuh noch Strümpfe litt sie an den Füßen,
auch hingen ihre Haare ungezöpft bis auf die Knöchel nieder.
So strich sie durch das Haus von unten bis zu oberst, durch Küche,
Stuben und Gemächer. Sie verwunderte sich des gemeinsten Gerätes
und seines Gebrauchs, besah den rein gefegten Schenktisch und darüber
in langen Reihen die zinnenen Kannen und Gläser, alle gleich
gestürzt, mit hängendem Deckel, dazu den kupfernen Schwenkkessel
samt der Bürste und mitten in der Stube an der Decke der Weber
Zunftgeschmuck, mit Seidenband und Silberdraht geziert, in dem Kästlein
von Glas. Von ungefähr erblickte sie ihr eigen Bild im Spiegel,
davor blieb sie betroffen und erstockt eine ganze Weile stehn, und
als darauf die Söhnerin sie mit in ihre Stube nahm und ihr
ein neues Spiegelein, drei Groschen wert, verehrte, da meinte sie
Wunders zu haben; denn unter allen ihren Schätzen fand sich
dergleichen nicht. Bevor sie aber Abschied nahm, geschah's, daß
sie hinter den Vorhang des Alkoven schaute, woselbst der jungen
Frau und ihres Mannes Bett sowie der Kinder Schlafstätte war.
Saß da ein Enkelein mit rotgeschlafenen Bakken, hemdig und
einen Apfel in der Hand, auf einem runden Stühlchen von guter
Ulmer Hafnerarbeit, grünverglaset. Das wollte dem Gast außer
Maßen gefallen; sie nannte es einen viel zierlichen Sitz,
rümpft' aber die Nase mit eins, und da die drei Frauen sich
wandten zu lachen, vermerkte sie etwas und fing auch hell zu lachen
an, und hielt sich die ehrliche Wirtin den Bauch, indem sie sprach:
"diesmal fürwahr hat es gegolten, und Gott schenk' Euch so
einen frischen Buben, als mein Hans da ist!" Die Nacht darauf, daß
sich dies zugetragen, legte sich die schöne Lau getrost und
wohlgemut, wie schon in langen Jahren nicht, im Grund des Blautopfs
nieder, schlief gleich ein, und bald erschien ihr ein närrischer
Traum.
Ihr deuchte da, es war die Stunde nach Mittag, wo in der heißen
Jahreszeit die Leute auf der Wiese sind und mähen, die Mönche
aber sich in ihren kühlen Zellen eine Ruhe machen, daher es
noch einmal so still im ganzen Kloster und rings um seine Mauern
war. Es stund jedoch nicht lange an, so kam der Abt herausspaziert
und sah, ob nicht etwa die Wirtin in ihrem Garten sei. Dieselbe
aber saß als eine dicke Wasserfrau mit langen Haaren in dem
Topf, allwo der Abt sie bald entdeckte, sie begrüßte
und ihr einen Kuß gab, so mächtig, daß es vom Klostertürmlein
widerschallte, und schallte es der Turm ans Refektorium, das sagt'
es der Kirche, und die sagt's dem Pferdstall, und der sagt's dem
Fischhaus, und das sagt's dem Waschhaus, und im Waschhaus da riefen's
die Zuber und Kübel sich zu. Der Abt erschrak bei solchem Lärm;
ihm war, wie er sich nach der Wirtin bückte, sein Käpplein
in Blautopf gefallen; sie gab es ihm geschwind, und er watschelte
hurtig davon.
Da aber kam aus dem Kloster heraus unser Herrgott, zu sehn, was
es gebe. Er hatte einen langen weißen Bart und einen roten
Rock. Und frug den Abt, der ihm just in die Hände lief:
"Herr Abt, wie ward Euer Käpplein so naß?"
Und er antwortete:
- " Es ist mir ein Wildschwein am Wald verkommen,
- Vor dem hab' ich Reißaus genommen;
- Ich rannte sehr und schwitzet' baß;,
- Davon ward wohl mein Käpplein so naß."
Da hob unser Hergott, unwirs ob der Lüge, seinen Finger auf,
winkt' ihm und ging voran, dem Kloster zu. Der Abt sah hehlings
noch einmal nach der Frau Wirtin um, und diese rief: "ach liebe
Zeit, ach liebe Zeit, jetzt kommt der gut' alt' Herr in die Prison!"
Dies war der schönen Lau ihr Traum. Sie wußte aber beim
Erwachen und spürte noch an ihrem Herzen, daß sie im
Schlaf sehr lachte, und ihr hüpfte noch wachend die Brust,
daß der Blautopf oben Ringlein schlug.
Weil es den Tag zuvor sehr schwül gewesen, so blitzte es jetzt
in der Nacht. Der Schein erhellte den Blautopf ganz, auch spürte
sie am Boden, es donnere weitweg. So blieb sie mit zufriedenem Gemüte
noch eine Weile ruhen, den Kopf in ihre Hand gestützt, und
sah dem Wetterblicken zu. Nun stieg sie auf, zu wissen, ob der Morgen
etwa komme: allein es war noch nicht viel über Mitternacht.
Der Mond stand glatt und schön über dem Rusenschloß,
die Lüfte aber waren voll vom Würzgeruch der Mahden.
Sie meinte fast der Geduld nicht zu haben bis an die Stunde, wo
sie im Nonnenhof ihr neues Glück verkünden durfte, ja
wenig fehlte, daß sie sich jetzt nicht mitten in der Nacht
aufmachte und vor Juttas Türe kam (wie sie nur einmal, Trostes
wegen, in übergroßem Jammer nach der jüngsten Botschaft
aus der Heimat tat), doch sie besann sich anders und ging zu besserer
Zeit. Frau Betha hörte ihren Traum gutmütig an, obwohl
er ihr ein wenig ehrenrührig schien. Bedenklich aber sagte
sie darauf: "Baut nicht auf solches Lachen, das im Schlaf geschah;
der Teufel ist ein Schelm. Wenn Ihr auf solches Trugwerk hin die
Boten mit fröhlicher Zeitung entließet, und die Zukunft
strafte Euch Lügen, es könnte schlimm daheim ergehen."
Auf diese ihre Rede hing die schöne Lau den Mund gar sehr
und sagte: "Frau Ahne hat der Traum verdrossen!" - nahm kleinlauten
Abschied und tauchte hinunter.
Es war nah bei Mittag, da rief der Pater Schaffner im Kloster dem
Bruder Kellermeister eifrig zu: "Ich merk', es ist im Gumpen letz!
die Arge will Euch Eure Faß wohl wieder einmal schwimmen lehren.
Tut Eure Läden eilig zu, vermachst alles wohl!"
Nun aber war des Klosters Koch, der Wirtin Sohn, ein lustiger Vogel,
welchen die Lau wohl leiden mochte. Der dachte ihren Jäst mit
einem Schnak zu stillen, lief nach seiner Kammer, zog die Bettscher'
aus der Lagerstätte und steckte sie am Blautopf in den Rasen,
wo das Wasser auszutreten pflegte, und stellte sich mit Worten und
Gebärden als einen viel getreuen Diener an, der mächtig
Ängsten hätte, daß seine Herrschaft aus dem Bette
fallen und etwa Schaden nehmen möchte. Da sie nun sah das Holz
so recht mit Fleiß gesteckt und über das Bächlein
gespreizt, kam ihr in ihrem Zorn das Lachen an, und lachte überlaut,
daß man's im Klostergarten hörte.
Als sie hierauf am Abend zu den Frauen kam, da wußten sie
es schon vom Koch und wünschten ihr mit tausend Freuden Glück.
Die Wirtin sagte: "der Xaver ist von Kindesbeinen an gewesen als
wie der Zuberklaus, jetzt kommt uns seine Torheit zustatten."
Nun aber ging ein Monat nach dem andern herum, es wollte sich zum
dritten- oder viertenmal nicht wieder schicken. Martini war vorbei,
noch wenig Wochen, und die Boten standen wieder vor der Tür.
Da ward es den guten Wirtsleuten selbst bang, ob heuer noch etwas
zustande käme, und alle hatten nur zu trösten an der Frau.
Je größer deren Angst, je weniger zu hoffen war.
Damit sie ihres Kummers eher vergesse, lud ihr Frau Betha einen
Lichtkarz ein, da nach dem Abendessen ein halb Dutzend muntre Dirnen
und Weiber aus der Verwandtschaft in einer abgelegenen Stube mit
ihren Kunkeln sich zusammensetzten. Die Lau kam alle Abend in Juttas
altem Rock und Kittel und ließ sich weit vom warmen Ofen weg
in einem Winkel auf den Boden nieder und hörte dem Geplauder
zu, von Anfang als ein stummer Gast, ward aber bald zutraulich und
bekannt mit allen. Um ihretwillen machte sich Frau Betha eines Abends
ein Geschäft daraus, ihr Weihnachtskripplein für die Enkel
beizeiten herzurichten: die Mutter Gottes mit dem Kind im Stall,
bei ihr die drei Weisen aus Morgenland, ein jeder mit seinem Kamel,
darauf er hergereist kam und seine Gaben brachte. Dies alles aufzuputzen
und zu leimen, was etwa lotter war, saß die Frau Wirtin an
dem Tisch beim Licht mit ihrer Brille, und die Wasserfrau mit höchlichem
Ergötzen sah ihr zu, sowie sie auch gerne vernahm, was ihr
von heiligen Geschichten dabei gesagt wurde, doch nicht, daß
sie dieselben dem rechten Verstand nach begriff oder zu Herzen nahm,
wie gern auch die Wirtin es wollte.
Frau Betha wußte ferner viel lehrreicher Fabeln und Denkreime,
auch spitzweise Fragen und Rätsel; die gab sie nacheinander
im Vorsitz auf zu raten, weil sonderlich die Wasserfrau von Hause
aus dergleichen liebte und immer gar zufrieden schien, wenn sie
es ein und das andre Mal traf (das doch nicht allzu leicht geriet).
Eines derselben gefiel ihr vor allen, und was damit gemeint ist,
nannte sie ohne Besinnen:
- "Ich bin eine dürre Königin,
- Trag' auf dem Haupt eine zierliche Kron',
- Und die mir dienen mit treuem Sinn,
- Die haben großen Lohn.
-
- Meine Frauen müssen mich schön frisiern,
- Erzählen mir Märlein ohne Zahl,
- Sie lassen kein einzig Haar an mir,
- Doch siehst du mich nimmer kahl.
-
- Spazieren fahr' ich frank und frei,
- Das geht so rasch, das geht so fein;
- Nur komm' ich nicht vom Platz dabei -
- Sagt, Leute, was mag das sein?"
-
Darüber sagte sie, in etwas fröhlicher denn zuvor: "Wenn
ich dereinstens wiederum in meiner Heimat bin und kommt einmal ein
schwäbisch Landeskind, zumal aus eurer Stadt, auf einer Kriegsfahrt
oder sonst durch der Walachen Land an unsere Gestade, so ruf' er
mich bei Namen, dort wo der Strom am breitesten hineingeht in das
Meer - versteht, zehn Meilen einwärts in dieselbe See erstreckt
sich meines Mannes Reich, soweit das süße Wasser sie
mit seiner Farbe färbt -, dann will ich kommen und dem Fremdling
zu Rat und Hilfe sein. Damit er aber sicher sei, ob ich es bin und
keine andere, die ihm schaden möchte, so stelle er dies Rätsel.
Niemand aus unserem Geschlechte außer mir wird ihm darauf
antworten, denn dortzuland sind solche Rocken und Rädlein,
als ihr in Schwaben führet, nicht gesehn, noch kennen sie dort
eure Sprache; darum mag dies die Losung sein."
Auf einen andern Abend ward erzählt vom Doktor Veylland und
Herrn Konrad von Wirtemberg, dem alten Gaugrafen, in dessen Tagen
es noch keine Stadt mit Namen Stuttgart gab. Im Wiesental, da wo
dieselbe sich nachmals erhob, stund nur ein stattliches Schloß
mit Wassergraben und Zugbrücke, von Bruno, dem Domherrn von
Speyer, Konradens Oheim, erbaut, und nicht gar weit davon ein hohes
steinernes Haus. In diesem wohnte dazumal mit einem alten Diener
ganz allein ein sonderlicher Mann, der war in natürlicher Kunst
und in Arzneikunst sehr gelehrt und war mit seinem Herrn, dem Grafen,
weit in der Welt herumgereist, in heißen Ländern, von
wo er manche Seltsamkeit an Tieren, vielerlei Gewächsen und
Meerwundern heraus nach Schwaben brachte. In seinem Öhrn sah
man der fremden Sachen eine Menge an den Wänden herum hangen:
die Haut vom Krokodil sowie Schlangen und fliegende Fische. Fast
alle Wochen kam der Graf einmal zu ihm; mit andern Leuten pflegte
er wenig Gemeinschaft. Man wollte behaupten, er mache Gold; gewiß
ist, daß er sich unsichtbar machen konnte, denn er verwahrte
unter seinem Kram einen Krackenfischzahn. Einst nämlich, als
er auf dem Roten Meer das Bleilot niederließ, die Tiefe zu
erforschen, da zockt' es unterm Wasser, daß das Tau fast riß.
Es hatte sich ein Krackenfisch im Lot verbissen und zween seiner
Zähne darinne gelassen. Sie sind wie eine Schustersahle spitz
und glänzend schwarz. Der eine stak sehr fest, der andre ließ
sich leicht ausziehen. Da nun ein solcher Zahn, etwa in Silber oder
Gold gefaßt und bei sich getragen, besagte hohe Kraft besitzt
und zu den größten Gütern, so man für Geld
nicht haben kann, gehört, der Doktor aber dafür hielt,
es zieme eine solche Gabe niemand besser als einem weisen und wohldenkenden
Gebieter, damit er überall, in seinen eigenen und Feindes Landen,
sein Ohr und Auge habe, so gab er einen dieser Zähne seinem
Grafen, wie er ja ohnedem wohl schuldig war, mit Anzeigung von dessen
Heimlichkeit, davon der Herr nichts wußte. Von diesem Tage
an erzeigte sich der Graf dem Doktor gnädiger als allen seinen
Edelleuten oder Räten und hielt ihn recht als seinen lieben
Freund, ließ ihm auch gern und sonder Neid das Lot zu eigen,
darin der andere Zahn war, doch unter dem Gelöbnis, sich dessen
ohne Not nicht zu bedienen, auch ihn vor seinem Ableben entweder
ihm, dem Grafen, erblich zu verlassen oder auf alle Weise der Welt
zu entrücken, wo nicht ihn gänzlich zu vertilgen. Der
edle Graf starb aber um zwei Jahre eher als der Veylland und hinterließ
das Kleinod seinen Söhnen nicht; man glaubt, aus Gottesfurcht
und weisem Vorbedacht hab' er's mit in das Grab genommen oder sonst
verborgen.
Wie nun der Doktor auch am Sterben lag, so rief er seinen treuen
Diener Kurt zu ihm ans Bett und sagte: "Lieber Kurt! es gehet diese
Nacht mit mir zum Ende, so will ich dir noch deine guten Dienste
danken und etliche Dinge befehlen. Dort bei den Büchern, in
dem Fach zu unterst in der Ecke, ist ein Beutel mit hundert Imperialen,
den nimm sogleich zu dir; du wirst auf Lebenszeit genug daran haben.
Zum zweiten, das alte geschriebene Buch in dem Kästlein daselbst
verbrenne jetzt vor meinen Augen hier in dem Kamin. Zum dritten
findest du ein Bleilot dort, das nimm, verbirg's bei deinen Sachen,
und wenn du aus dem Hause gehst in deine Heimat, gen Blaubeuren,
laß es dein erstes sein, daß du es in den Blautopf wirfst."
- Hiermit war er darauf bedacht, daß es, ohne Gottes besondere
Fügung, in ewigen Zeiten nicht in irgendeines Menschen Hände
komme. Denn damals hatte sich die Lau noch nie im Blautopf blicken
lassen und hielt man selben überdies für unergründlich.
Nachdem der gute Diener jenes alles teils auf der Stelle ausgerichtet,
teils versprochen, nahm er mit Tränen Abschied von dem Doktor,
welcher vor Tage noch das Zeitliche gesegnete.Als nachher die Gerichtspersonen
kamen und allen kleinen Quark aussuchten und versiegelten, da hatte
Kurt das Bleilot zwar beiseit' gebracht, den Beutel aber nicht versteckt,
denn er war keiner von den Schlauesten, und mußte ihn da lassen,
bekam auch nach der Hand nicht einen Deut davon zu sehen, kaum daß
die schnöden Erben ihm den Jahreslohn auszahlten.
Solch Unglück ahnete ihm schon, als er, auch ohnedem betrübt
genug, mit seinem Bündelein in seiner Vaterstadt einzog. Jetzt
dachte er an nichts, als seines Herrn Befehl vor allen Dingen zu
vollziehen. Weil er seit dreiundzwanzig Jahren nimmer hier gewesen,
so kannte er die Leute nicht, die ihm begegneten, und da er gleichwohl
einem und dem andern Guten Abend sagte, gab's ihm niemand zurück.
Die Leute schauten sich, wenn er vorüber kam, verwundert an
den Häusern um, wer doch da gegrüßt haben möchte,
denn keines erblickte den Mann. Dies kam, weil ihm das Lot in seinem
Bündel auf der linken Seite hing; ein andermal, wenn er es
rechts trug, war er von allen gesehen. Er aber sprach für sich:
"zu meiner Zeit sind dia Blaubeuramar so grob ett gwä!"
Beim Blautopf fand er seinen Vetter, den Seilermeister, mit dem
Jungen am Geschäft, indem er längs der Klostermauer, rückwärts
gehend, Werg aus seiner Schürze spann, und weiterhin der Knabe
trillte die Schnur mit dem Rad. - "Gott grüaß di, Vetter
Seiler!" rief der Kurt und klopft' ihm auf die Achsel. Der Meister
guckt sich um, verblaßt, läßt seine Arbeit aus
den Händen fallen und lauft, was seine Beine mögen. Da
lachte der andere, sprechend: "der denkt, mei' Seel, i wandele geistweis!
D'Leut hant g'wiß mi für tot hia g'sagt, anstatt mein'
Herra - ei so schlag!"
Jetzt ging er zu dem Teich, knüpfte sein Bündel auf und
zog das Lot heraus. Da fiel ihm ein, er möchte doch auch wissen,
ob es wahr sei, daß der Gumpen keinen Grund noch Boden habe
(er wär' gern auch ein wenig so ein Spiriguckes wie sein Herr
gewesen), und weil er vorhin in des Seilers Korb drei große
starke Schnürbund liegen sehn, so holte er dieselben her und
band das Lot an einen. Es lagen just auch frischgebohrte Teichel,
eine schwere Menge, in dem Wasser bis gegen die Mitte des Topfs,
darauf er sicher Posto fassen konnte, und also ließ er das
Gewicht hinunter, indem er immer ein Stück Schnur an seinem
ausgestreckten Arm abmaß, drei solcher Längen auf ein
Klafter rechnete und laut abzählte: "- l Klafter, 2 Klafter,
3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10"; - da ging der erste Schnurbund aus und
mußte er den zweiten an das Ende knüpfen, maß wiederum
ab und zählte bis auf 20. Da war der andere Schnurbund gar.
- " Heidaguguk, ist dees a Tiafe!" - und band den dritten an das
Trumm, fuhr fort zu zählen: "21, 22, 23, 24 - Höll-Element,
mei' Arm will nimme! - 25, 26, 27, 28, 29, 30 - Jetzet guat Nacht,
's Meß hot a End! Do heißt's halt, mir nex, dir nex,
rappede kappede, so isch usganga!" - Er schlang die Schnur, bevor
er aufzog, um das Holz, darauf er stand, ein wenig zu verschnaufen
und urteilte bei sich: der Topf ist währle bodalaus.
Indem der Spinnerinnen eine diesen Schwank erzählte, tat die
Wirtin einen schlauen Blick zur Lau hinüber, welche lächelte;
denn freilich wußte sie am besten, wie es gegangen war mit
dieser Messerei; doch sagten beide nichts. Dem Leser aber soll es
unverhalten sein.
Die schöne Lau lag jenen Nachmittag auf dem Sand in der Tiefe,
und, ihr zu Füßen, eine Kammerjungfer, Aleila, welche
ihr die liebste war, beschnitte ihr in guter Ruh die Zehen mit einer
goldenen Schere, wie von Zeit zu Zeit geschah.
Da kam hernieder langsam aus der klaren Höh' ein schwarzes
Ding, als wie ein Kegel, des sich im Anfang beide sehr verwunderten,
bis sie erkannten, was es sei. Wie nun das Lot mit neunzig Schuh
den Boden rührte, da ergriff die scherzlustige Zofe die Schnur
und zog gemach mit beiden Händen, zog und zog, so lang, bis
sie nicht mehr nachgab. Alsdann nahm sie geschwind die Schere und
schnitt das Lot hinweg, erlangte einen dicken Zwiebel, der war erst
gestern in den Topf gefallen und war fast eines Kinderkopfes groß,
und band ihn bei dem grünen Schossen an die Schnur, damit der
Mann erstaune, ein ander Lot zu finden, als das er ausgeworfen.
Derweile aber hatte die schöne Lau den Krackenzahn im Blei
mit Freuden und Verwunderung entdeckt. Sie wußte seine Kraft
gar wohl, und ob zwar für sich selbst die Wasserweiber oder
-männer nicht viel darnach fragen, so gönnen sie den Menschen
doch so grossen Vorteil nicht, zumalen sie das Meer und was sich
darin findet von Anbeginn als ihren Pacht und Lehn ansprechen. Deswegen
denn die schöne Lau mit dieser ungefähren Beute sich dereinst,
wenn sie zu Hause käme, beim alten Nix, ihrem Gemahl, Lobs
zu erholen hoffte. Doch wollte sie den Mann, der oben stund, nicht
lassen ohn' Entgelt, nahm also alles, was sie eben auf dem Leibe
hatte, nämlich die schöne Perlenschnur an ihrem Hals,
schlang selbe um den großen Zwiebel, gerade als er sich nunmehr
erhob; und daran war es nicht genug; sie hing zuteuerst auch die
goldne Schere noch daran und sah mit hellem Aug', wie das Gewicht
hinaufgezogen ward. Die Zofe aber, neubegierig, wie sich das Menschenkind
dabei gebärde, stieg hinter dem Lot in die Höhe und weidete
sich zwo Spannen unterhalb dem Spiegel an des Alten Schreck und
Verwirrung. Zuletzt fuhr sie mit ihren beiden aufgehobenen Händen
ein maler viere in der Luft herum, die weißen Finger als zu
einem Fächer oder Wadel ausgespreizt. Es waren aber schon zuvor
auf des Vetters Seilers Geschrei viel Leute aus der Stadt herausgekommen,
die standen um den Blautopf her und sahn dem Abenteuer zu, bis wo
die grausigen Hände erschienen; da stob mit eins die Menge
voneinander und entrann.
Der alte Diener aber war von Stund an irrsch im Kopf ganzer sieben
Tage und sah der Lau ihre Geschenke gar nicht an, sondern saß
da, bei seinem Vetter, hinterm Ofen, und sprach des Tags wohl hundertmal
ein altes Sprüchlein vor sich hin, von welchem kein Gelehrter
in ganz Schwabenland Bescheid zu geben weiß, woher und wie
oder wann erstmals es unter die Leute gekommen. Denn von ihm selber
hatte es der Alte nicht; man gab es lang vor seiner Zeit, gleichwie
noch heutigestags, den Kindern scherzweis auf, wer es ganz hurtig
nacheinander ohne Tadel am öftesten hersagen könne; und
lauten die Worte:
- "'s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura,
- glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei."
Die Wirtin nannt' es einen rechten Leirenbendel und sagte: "wer
hätte auch den mindesten Verstand da drin gesucht, geschweige
eine Prophezeiung!"
Als endlich der Kurt mit dem siebenten Morgen seine gute Besinnung
wiederfand und ihm der Vetter die kostbaren Sachen darwies, so sein
rechtliches Eigentum wären, da schmunzelte er doch, tat sie
in sicheren Verschluß und ging mit des Seilers zu Rat, was
damit anzufangen. Sie achteten alle fürs beste, er reise mit
Perlen und Schere gen Stuttgart, wo eben Graf Ludwig sein Hoflager
hatte, und biete sie demselben an zum Kauf. So tat er denn. Der
hohe Herr war auch nicht karg und gleich bereit, so seltene Zier
nach Schätzung eines Meisters für seine Frau zu nehmen;
nur als er von dem Alten hörte, wie er dazu gekommen, fuhr
er auf und drehte sich voll Ärger auf dem Absatz um, daß
ihm der Wunderzahn verloren sei. Ihm war vordem etwas von diesem
kund geworden, und hatte er dem Doktor, bald nach Herrn Konrads
Hintritt, seines Vaters, sehr darum angelegen, doch umsonst.
Dies war nun die Geschichte, davon die Spinnerinnen damals plauderten.
Doch ihnen war das Beste daran unbekannt. Eine Gevatterin, so auch
mit ihrer Kunkel unter ihnen saß, hätte noch gar gern
gehört, ob wohl die schöne Lau das Lot noch habe, auch
was sie damit tue? und red'te so von weitem darauf hin; da gab Frau
Betha ihr nach ihrer Weise einen kleinen Stich und sprach zur Lau:
"Ja, gelt, jetzt macht Ihr Euch bisweilen unsichtbar, geht herum
in den Häusern und guckt den Weibern in die Töpfe, was
sie zu Mittag kochen? Eine schöne Sach' um so ein Lot für
fürwitzige Leute!"
Inmittelst fing der Dirnen eine an, halblaut das närrische
Gesetzlein herzusagen; die anderen taten ein gleiches, und jede
wollt' es besser können, und keine brachte es zum dritten oder
viertenmal glatt aus dem Mund; dadurch gab es viel Lachen. Zum letzten
mußte es die schöne Lau probieren, die Jutte ließ
ihr keine Ruh. Sie wurde rot bis an die Schläfe, doch hub sie
an und klüglicherweise gar langsam:
- "'s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeuren."
Die Wirtin rief ihr zu, so sei es keine Kunst, es müsse gehen
wie geschmiert! Da nahm sie ihren Anlauf frisch hinweg, kam auch
alsbald vom Pfad ins Stoppelfeld, fuhr buntüberecks und wußte
nimmer gicks noch gacks. jetzt, wie man denken kann, gab es Gelächter
einer Stuben voll, das hättet ihr nur hören sollen, und
mitten drauß hervor der schönen Lau ihr Lachen, so hell
wie ihre Zähne, die man alle sah!
Doch unversehens, mitten in dieser Fröhlichkeit und Lust,
begab sich ein mächtiges Schrecken.
Der Sohn vom Haus, der Wirt, - er kam gerade mit dem Wagen heim
von Sonderbuch und fand die Knechte verschlafen im Stall - sprang
hastig die Stiege herauf, rief seine Mutter vor die Tür und
sagte, daß es alle hören konnten: "um Gottes willen,
schickt die Lau nach Haus! Hört Ihr denn nicht im Städtlein
den Lärm? Der Blautopf leert sich aus, die untere Gasse ist
schon unter Wasser, und in dem Berg am Gumpen ist ein Getös
und Rollen, als wenn die Sündflut käme!" - Indem er noch
so sprach, tat innen die Lau einen Schrei: "das ist der König,
mein Gemahl, und ich bin nicht daheim!" - Hiermit fiel sie von ihrem
Stuhl sinnlos zu Boden, daß die Stube zitterte. Der Sohn war
wieder fort, die Spinnerinnen liefen jammernd heim mit ihren Rocken,
die andern aber wußten nicht, was anzufangen mit der armen
Lau, welche wie tot da lag. Eins machte ihr die Kleider auf, ein
anderes strich sie an, das dritte riß die Fenster auf, und
schafften doch alle miteinander nichts.
Da streckte unverhofft der lustige Koch den Kopf zur Tür herein,
sprechend: "ich hab' mir's eingebildet, sie wär' bei euch!
Doch, wie ich sehe, geht's nicht allzu lustig her. Macht, daß
die Ente in das Wasser kommt, so wird sie schwimmen!" - "Du hast
gut reden!" sprach die Mutter mit Beben: "hat man sie auch im Keller
und im Brunnen, kann sie sich unten nicht den Hals abstürzen
im Geklüft?" - "Was Keller!" rief der Sohn: "was Brunnen! das
geht ja freilich nicht - laßt mich nur machen! Not kennt kein
Gebot - ich trag' sie in den Blautopf." - Und damit nahm er, als
ein starker Kerl, die Wasserfrau auf seine Arme. "Komm, Jutta -
nicht heulen! - geh mir voran mit der Latern'!" - "In Gottes Namen!"
sagte die Wirtin: "doch nehmt den Weg hinten herum durch die Gärten:
es wimmelt die Straße mit Leuten und Lichtern." - "Der Fisch
hat sein Gewicht!" sprach er im Gehn, schritt aber festen Tritts
die Stiege hinunter, dann über den Hof und links und rechts,
zwischen Hecken und Zäunen hindurch.
Am Gumpen fanden sie das Wasser schon merklich gefallen, gewahrten
aber nicht, wie die drei Zofen, mit den Köpfen dicht unter
dem Spiegel, ängstig hin und wieder schwammen, nach ihrer Frau
ausschauend. Das Mädchen stellte die Laterne hin, der Koch
entledigte sich seiner Last, indem er sie behutsam mit dem Rücken
an den Kürbishügel lehnte. Da raunte ihm sein eigener
Schalk ins Ohr: wenn du sie küßtest, freute dich's dein
Leben lang, und könntest du doch sagen, du habest einmal eine
Wasserfrau geküßt. - Und eh' er es recht dachte, war's
geschehen. Da löschte ein Schuck Wasser aus dem Topf das Licht
urplötzlich aus, daß es stichdunkel war umher, und tat
es dann nicht anders, als wenn ein ganz halb Dutzend nasser Hände
auf ein paar kernige Backen fiel, und wo es sonst hintraf. Die Schwester
rief: "was gibt es denn?" - "Maulschellen, heißt man's hier
herum!" sprach er - "ich hätte nicht gedacht, daß sie
am Schwarzen Meer sottige Ding' auch kenneten!" - Dies sagend, stahl
er sich eilends davon, doch weil es vom Widerhall drüben am
Kloster auf Mauern und Dächern und Wänden mit Maulschellen
brazzelte, stund er bestürzt, wußte nicht recht wohin,
denn er glaubte den Feind vorn und hinten. (Solch einer Witzung
brauchte es, damit er sich des Mundes nicht berühme, den er
geküßt, unwissend zwar, daß er es müssen tun
der schönen Lau zum Heil.)
Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin
in ihrem Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum
getan, wo sie den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von
weitem, und ob er's schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er
doch gern daraus, daß es nicht weiter Not mehr habe mit der
Frau.
Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den
Rock und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal
heut' am Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf
in Beisein des Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem
großen Trost, der König sei noch nicht gekommen, doch
mög' es nicht mehr lang anstehn, die große Wasserstraße
sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter hoher
Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön
grad und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von
da bis an die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz
hatte. Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses
Gaus dienstbar; die schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging,
besagte Straße in gar kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern,
daß sie mit allem Seegetier, Meerrossen und Wagen füglich
befahren werden mochte, welches bei festlicher Gelegenheit zuweilen
als ein schönes Schaugepräng' mit vielen Fackeln und Musik
von Hörnern und Pauken geschah.
Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach,
um sie zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen; das
sie auch gern zuließ und selbst mithalf, denn sie in ihrem
Innern fühlte, es sei nun jegliches erfüllt zusamt dem
Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte. Drei
Stunden wohl nachdem der Wächter Mitternacht gerufen, es schlief
im Nonnenhof schon alles, erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig,
zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen
und die Töchter auf dem Platz.
Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur
war ihr Gesicht von der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten,
wie man es nie an ihr gesehen. Sie sprach: "Wißt, daß
mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen ist. Die Schwieger hat es
ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich in dieser
Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen
auszog, mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder
Synd und vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist
mir hold und gnädig, als hieß' ich von heute an erst
sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl aufstehn, sobald sie den
Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer und hierher, noch
meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage Dank,
Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir.
Grüßet die nicht zugegen sind, die Männer und die
Mägde. In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir; auch
mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme selber,
da bring' ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, daß
die Lau bei euch gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken,
wie ich selbst. Für jetzo, wisset, liebe Wirtin, ist mein Sinn,
einen Segen zu stiften in dieses Haus für viele seiner Gäste.
Oft habe ich vernommen, wie Ihr den armen wandernden Gesellen Gut's
getan mit freier Zehrung und Herberg'. Damit Ihr solchen fortan
mögt noch eine weitere Handreichung tun, so werdet ihr zu diesem
Ende finden beim Brunnen hier einen steinernen Krug voll guter Silbergroschen:
davon teilt ihnen nach Gutdünken mit, und will ich das Gefäß,
bevor der letzte Pfennig ausgegeben, wieder füllen. Zudem will
ich noch stiften auf alle hundert Jahr fünf Glückstage
(denn dies ist meine holde Zahl), mit unterschiedlichen Geschenken,
also, daß, wer von reisenden Gesellen der erste über
Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte, der
soll empfangen, aus Eurer oder Eurer Kinder Hand, von fünferlei
Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe,
nicht Ort noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber
solche Gaben jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung,
wisset, mache ich für alle Zeit, solang ein Glied von Eurem
Stammen auf der Wirtschaft ist." Nach diesen Worten redete sie noch
manches leise mit der Wirtin und sagte zuletzt: "vergesset nicht
das Lot! der kleine Schuster soll es nimmermehr bekommen." Da nahm
sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die beiden
Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen
Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: "Ade,
Jutta! Wir haben zusammen besondere Holdschaft gehabt, die müsse
fernerhin bestehen!" - Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.
In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt
den verheißnen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit
eisernem Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin
es führe; das stand jetzt aufgeschlagen und war daraus ersichtlich,
daß die Sachen durch dienstbare Hand auf diesem Weg seien
hergebracht worden, deshalb auch alles wohl trocken verblieb. Es
lag dabei: ein Würfelbecher aus Drachenhaut, mit goldenen Buckeln
beschlagen, ein Dolch mit kostbar eingelegtem Griff, ein elfenbeinen
Weberschifflein, ein schönes Tuch von fremder Weberei und mehr
dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus Rosenholz mit
langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet, den war
die Wirtin angewiesen, dem lustigen Koch zum Andenken zu geben.
Auch keins der andern war vergessen.
Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau
heilig, und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals
mit ihrem Kind im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht
nichts in dem alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch
mag ich es wohl glauben.
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