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Kulturgeschichte - Klassik


 

 

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Friedrich von Schiller - Don Carlos
Schillerzurück -Vierter Akt, Einundzwanzigster Auftritt - weiter
 
 
Königin. Marquis von Posa.
 
Königin
Ach, endlich, Marquis! Glücklich, daß Sie kommen!
 
Marquis
(bleich, mit zerstörtem Gesicht, bebender Stimme und durch diesen ganzen Auftritt in feierlicher, tiefer Bewegung).
Sind Ihre Majestät allein? Kann Niemand
In diesen nächsten Zimmern uns behorchen?
 
Königin
Kein Mensch - Warum? Was bringen Sie?
(Indem sie ihn genauer ansieht und erschrocken zurück tritt)
Und wie
So ganz verändert! Was ist das? Sie machen
Mich zittern, Marquis - alle Ihre Züge
Wie eines Sterbenden entstellt -
 
Marquis
Sie wissen
Vermuthlich schon -
 
Königin
Daß Carl gefangen worden,
Und zwar durch Sie, setzt man hinzu - So ist
Es dennoch wahr? Ich wollt' es keinem Menschen
Als Ihnen glauben.
 
Marquis
Es ist wahr.
 
Königin
Durch Sie?
 
Marquis
Durch mich.
 
Königin
(sieht ihn einige Augenblicke zweifelhaft an)
Ich ehre Ihre Handlungen,
Auch wenn ich sie nicht fasse - diesmal aber
Verzeihen Sie dem bangen Weib - Ich fürchte,
Sie spielen ein gewagtes Spiel.
 
Marquis    
Ich hab' es
Verloren.
 
Königin
Gott im Himmel!
 
Marquis
Sei'n Sie
Ganz ruhig, meine Königin. Für ihn
Ich schon gesorgt. Ich hab' es mir verloren.
 
Königin
Was werd' ich hören! Gott!
 
Marquis
Denn wer,
Wer hieß auf einen zweifelhaften Wurf
Mich Alles setzen? Alles? so verwegen,
So zuversichtlich mit dem Himmel spielen?
Wer ist der Mensch, der sich vermessen will,
Des Zufalls schweres Steuer zu regieren,
Und doch nicht der Allwissenden zu sein?
O, es ist billig! - Doch warum denn jetzt
Von mir? Der Augenblick ist kostbar, wie
Das Leben eines Menschen! Und wer weiß,
Ob aus des Richters karger Hand nicht schon
Die letzten Tropfen für mich fallen?
 
Königin
Aus
Des Richters Hand? - Welch feierlicher Ton!
Ich fasse nicht, was diese Reden meinen,
Doch sie entsetzen ich -
 
Marquis
Er ist gerettet!
Um welchen Preis er's ist, gleichviel! Doch nur
Für heute. Wenig Augenblicke sind
Noch sein. Er spare sie. Noch diese Nacht
Muß er Madrid verlassen.
 
Königin
Diese Nacht noch?
 
Marquis
Anstalten sind getroffen. In demselben
Karthäuserkloster, das schon lange Zeit
Die Zuflucht unsrer Freundschaft war gewesen,
Erwartet ihn die Post. Hier ist in Wechseln,
Was mir das Glück auf dieser Welt gegeben.
Was mangelt, legen Sie noch bei. Zwar hätt' ich
An meinen Carl noch Manches auf dem Herzen,
Noch Manches, das er wissen muß; doch leicht
Könnt' es an Muße mir gebrechen, Alles
Persönlich mit ihm abzuthun - Sie sprechen
Ihn diesen Abend, darum wend' ich mich
An Sie -
 
Königin
Um meiner Ruhe willen, Marquis,
Erklären Sie sich deutlicher - nicht in
So fürchterlichen Räthseln reden Sie
Mit mir - Was ist geschehn?
 
Marquis        
Ich habe noch
Ein wichtiges Bekenntniß abzulegen;
In Ihre Hände leg' ich's ab. Mir ward
Ein Glück, wie es nur Wenigen geworden;
Ich liebte einen Fürstensohn - Mein Herz,
Nur einem Einzigen geweiht, umschloß
Die ganze Welt! - In meines Carlos' Seele
Schuf ich ein Paradies für Millionen.
O, meine Träume waren schön - Doch es
Gefiel der Vorsehung, mich vor der Zeit
Von meiner schönen Pflanzung abzurufen.
Bald hat er seinen Roderich nicht mehr,
Der Freund hört auf in der Geliebten. Hier,
Hier - hier - auf diesem heiligen Altare,
Im Herzen seiner Königin leg' ich
Mein letztes kostbares Vermächtniß nieder,
Hier find' er's, wenn ich nicht mehr bin -
(Er wendet sich ab, Thränen ersticken seine Stimme)
 
Königin
Das ist
Die Sprache eines Sterbenden. Doch hoff' ich,
Es ist nur Wirkung Ihres Blutes - oder
Liegt Sinn in diesen Reden?
 
Marquis
(hat sich zu sammeln gesucht und fährt mit festerm Tone fort)
Sagen Sie
Dem Prinzen, daß er denken soll des Eides,
Den wir in jenen schwärmerischen Tagen
Auf die getheilte Hostie geschworen.
Den meinigen hab' ich gehalten, bin
Ihm treu geblieben bis zum Tod - jetzt ist's
An ihm, den seinigen -
 
Königin
Zum Tod?
 
Marquis
Er mache -
O, sagen Sie es ihm! das Traumbild wahr,
Das kühne Traumbild eines neuen Staates,
Der Freundschaft göttliche Geburt. Er lege
Die erste Hand an diesen rohen Stein.
Ob er vollende oder unterliege -
Ihm einerlei! Er lege Hand an. Wenn
Jahrhunderte dahin geflohen, wird
Die Vorsicht einen Fürstensohn, wie er,
Auf einen Thron, wie seiner, wiederholen
Und ihren neuen Liebling mir derselben
Begeisterung entzünden. Sagen Sie
Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte
Gerühmter besserer Vernunft das Herz
Der zarten Götterblume - daß er nicht
Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeisterung, die Himmelstocher, lästert.
Ich hab' es ihm zuvor gesagt -
 
Königin
Wie, Marquis?
Und wozu führt -
 
Marquis
Und sagen Sie ihm, daß
Ich Menschenglück auf seine Seele lege,
Daß ich es sterbend von ihm fordre - fordre!
Und sehr dazu berechtigt war. Es hätte
Bei mir gestanden, einen neuen Morgen
Heraufzuführen über diese Reiche.
Der König schenkte mir sein Herz. Er nannte
Mich seinen Sohn - Ich führe seine Siegel,
Und seine Alba sind nicht mehr.
 
(Er hält inne und sieht einige Augenblicke stillschweigend auf die Königin)
 
Sie weinen -
Ich, diese Thränen kenn' ich, schöne Seele!
Die Freude macht die fließen. Doch - vorbei,
Es ist vorbei. Carl oder ich. Die Wahl
War schnell und schrecklich. Einer war verloren,
Und ich will dieser Eine sein - ich lieber -
Verlangen Sie nicht mehr zu wissen.
 
Königin
Jetzt,
Jetzt endlich fang' ich an, Sie zu begreifen -
Unglücklicher, was haben Sie gethan?
 
Marquis
Zwei kurze Abendstunden hingegeben,
Um einen hellen Sommertag zu retten.
Den König geb' ich auf. Was kann ich auch
Dem König sein? - In diesem starren Boden
Blüht keine meiner Rosen mehr - Europas
Verhängniß reift in meinem großen Freunde!
Auf ihn verweis' ich Spanien - Es blute
Bis dahin unter Philipps Hand! - Doch, weh!
Weh mir und ihm, wenn ich bereuen sollte,
Vielleicht das Schlimmere gewählt! - Nein, nein!
Ich kenne meinen Carlos - Das wird nie
Geschehn - und meine Bürgin, Königin,
Sind Sie
 
(Nach einigem Stillschweigen)
Ich sah sie keimen, diese Liebe, sah
Der Leidenschaften unglückseligste
In seinem Herzen Wurzel fassen - Damals
Stand es in meiner Macht, sie zu bekämpfen.
Ich that es nicht. Ich nährte diese Liebe,
Die mir nicht unglückselig war. Die Welt
Kann anders richten. Ich bereue nicht.
Mein Herz klagt mich nicht an. Ich sahe Leben,
Wo sie nur Tod - in dieser hoffnungslosen Flamme
Erkannt' ich früh der Hoffnung goldnen Strahl.
Ich wollt' ihn führen zum Vortrefflichen,
Zur höchsten Schönheit wollt' ich ihn erheben;
Die Sterblichkeit versagte mir ein Bild,
Die Sprache Worte - da verwies ich ihn
Auf dieses - meine ganze Leitung war,
Ihm seine Liebe zu erklären.
 
Königin
Marquis,
Ihr Freund erfüllte Sie so ganz, daß Sie
Mich über ihm vergaßen. Glaubten Sie
Im Ernst mich aller Weiblichkeit entbunden,
Da Sie zu seinem Engel mich gemacht,
Zu seinen Waffen Tugend ihm gegeben?
Das überlegten Sie wohl nicht, wie viel
Für unser Herz zu wagen ist, wenn wir
Mit solchen Namen Leidenschaft veredeln.
 
Marquis
Für alle Weiber, nur für eines nicht.
Auf eines schwör' ich - oder sollten Sie,
Sie der Begierden edelster sich schämen,
Der Heldentugend Schöpferin zu sein?
Was geht es König Philipp an, wenn seine
Verklärung in Escurial den Maler,
Der vor ihr steht, mit Ewigkeit entzündet?
Gehört die süße Harmonie, die in
Dem Saitenspiele schlummert, seinem Käufer,
Der es mit taubem Ohr bewacht? Er hat
Das Recht erkauft, in Trümmern es zu schlagen,
Doch nicht die Kunst, dem Silberton zu rufen
Und in des Liedes Wonne zu zerschmelzen.
Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen,
Die Schönheit für ein fühlend Herz. Sie beide
Gehören für einander. Diesen Glauben
Soll mir kein feiges Vorurtheil zerstören.
Versprechen Sie mir, ewig ihn zu lieben,
Von Menschenfurcht, von falschem Heldenmuth
Zu nichtiger Verleugnung nie versucht,
Unwandelbar und ewig ihn zu lieben,
Versprechen Sie mir dieses? - Königin -
Versprechen Sie's in meine Hand?
 
Königin
Mein Herz,
Versprech' ich Ihnen, soll allein und ewig
Der Richter meiner Liebe sein.
 
Marquis
(zieht seine Hand zurück)   
Jetzt sterb' ich
Beruhigt - meine Arbeit ist gethan.
(Er neigt sich gegen die Königin und will gehen)
 
Königin
(begleitet ihn schweigend mit den Augen)
Sie gehen, Marquis - ohne mir zu sagen,
Wenn wir - wie bald - uns wiedersehn?
 
Marquis
(kommt noch einmal zurück, das Gesicht abgewendet)
Gewiß!
Wie sehn und wieder.
 
Königin
Ich verstand Sie, Posa -
Verstand Sie recht gut - Warum haben Sie
Mir das gethan?
 
Marquis
Er oder ich.
 
Königin
Nein, nein!
Sie stürzten sich in diese That, die Sie
Erhaben nennen. Leugnen Sie nur nicht.
Ich kenne Sie, Sie haben längst darnach
Gedürstet - Mögen tausend Herzen brechen,
Was kümmert Sie's, wenn sich Ihr Stolz nur weidet.
O, jetzt - jetzt lern' ich Sie verstehn! Sie haben
Nur um Bewunderung gebuhlt.
 
Marquis
(betroffen, für sich)      
Nein! Darauf
War ich nicht vorbereitet -
 
Königin
(nach einem Stillschweigen)     
Marquis!
Ist keine Rettung möglich?
 
Marquis
Keine.
 
Königin
Keine?
Besinnen Sie sich wohl. Ist keine möglich?
Auch nicht durch mich?
 
Marquis
Auch nicht durch Sie.
 
Königin
Sie kennen mich
Zur Hälfte nur - ich habe Muth.
 
Marquis.                
Ich weiß es.
 
Königin
Und keine Rettung?
 
Marquis
Keine.
 
Königin
(verläßt ihn und verhüllt das Gesicht) 
Gehen Sie!
Ich schätze keinen Mann mehr.
 
Marquis
(in der heftigsten Bewegung vor ihr niedergeworfen)   
Königin!
- O Gott, das Leben ist doch schön!
 
(Er springt auf und geht schnell fort. Die Königin in ihr Kabinet.)