Heinrich Heine - Das Sklavenschiff

 Zwei Versionen desselben Themas

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Hintergrund:
1619 kam es zum ersten Transport afrikanischer Menschen nach Virginia, die dort als Sklaven verkauft wurden. 1661 gab es die ersten Gesetze zur Sklavenhaltung, 1688 immerhin schon die ersten Proteste durch die christlichen Quäker. 1711 versuchten die Quäker in Pennsylvania die Sklaverei abzuschaffen, jedoch setzte die englische Krone rigorose Gesetze gegen die Sklaven durch, bestätigte das absolute Besitzrecht ihrer weißen Herren über sie, sprach ihnen das Recht auf eine menschliche Seele ab und verbot jegliche Bildung für Schwarze. Noch bis ca. 1850 war es bei Strafe verboten ihnen Lesen und Schreiben beizubringen, auch wenn 1808 die „Einfuhr" weitere Sklaven aus Afrika verboten wurde.
1852 veröffentlichte Harriet Beecher-Stove das Buch „Onkel Toms Hütte". Sie wurde massiv angefeindet, konnte jedoch belegen, daß sie ausschließlich authentisches Material verwendet hatte. Ihr Buch hat maßgeblich zur Entstehung des amerikanischen Bürgerkriegs beigetragen und von Lincoln ist das Zitat überliefert „...Sie sind also die kleine Frau, die das Buch geschrieben hat, das unseren großen Krieg entfessselte?" Lincoln wurde kurz nach dem Bürgerkrieg von einem ehemaligen Sklavenhändler erschossen, der sich an ihm für den Entzug seiner Geschäftsgrundlage rächen wollte.
Heinrich Heine bekam das Buch von Beecher-Stove in die Hände und wurde dadurch zu diesem Gedicht inspiriert.

 Erste Version (ca 1854)
 I.
 
Der Großkaufmann, der Herr van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajüte;
Da wägt er ab der Ladung Betrag
Und seine großen Profite.
 
„Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein -
Die schwarze Ware ist besser.
 
Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stark,
Wie Eisen vom besten Gusse.
 
Ich habe zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.
 
Bleiben mir Nigger dreihundert nur
Im Hafen von Rio-Janeiro,
Zahlt mir dort hundert Dukaten per Stück,
Der Kaufmann Gonzales Perreiro"
 
Da plötzlich wird der Herr van Koek
Aus seinen Gedanken gerissen;
der Schiffschirurgius tritt herein,
Der Doktor van der Smissen.
 
Das ist eine klapperdünne Figur,
Die Nase voll roter Warzen -
„Nun, Wasserfeldscherer", ruft van Koek
„Wie geht's meinen lieben Schwarzen?"
 
Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:
„Ich bin zu melden gekommen,
Daß heute nacht die Sterblichkeit
bedeutend zugenommen.
 
Im Durchschnitt starben täglich zwei,
Doch heute starben sieben,
Vier Männer drei Frauen - ich hab den Verlust
Sogleich in die Kladde geschrieben.
 
Ich inspizierte die Leichen genau;
Denn diese Schelme stellen
Sich manchmal tot, damit man sie
Hinabwirft in die Wellen.
 
Ich nahm den Toten die Eisen ab;
Und wie ich gewöhnlich tue,
ich ließ die Leichen werfen ins Meer
des Morgens in der frühe.
 
Es schossen alsbald hervor aus der Flut
Haifische, ganze Heere,
Sie lieben so sehr das Negerfleisch;
Als ob es aus Zucker wäre.
 
 Sie folgten unseres Schiffes Spur,
seit wir verlassen die Küste;
Die Bestien wittern den Leichengeruch
Mit schnupperndem Fraßgelüste.
 
Es ist possierlich anzusehen,
Wie sie nach den Toten schnappen!
Die faßt den Kopf, der faßt das Bein,
Die andern schlucken die Lappen.
 
Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich
Vergnügt um des Schiffes Planken
Und glotzen mich an, als wollten sie
Sich für das Frühstück bedanken."
 
 Doch seufzend fällt ihm in die Red
Van Koek:"Wie kann ich lindern
Das Übel? Wie kann ich die große
Sterblichkeit nur verhindern?"
 
 Der Doktor erwidert: „Durch eigne Schuld
Sind viele Schwarze gestorben;
Ihr schlechter Atem hat die Luft
Im Schiffsraum so sehr verdorben.
 
 Auch starben viele durch Traurigkeit,
Dieweil sie sich tödlich langweilen;
Durch etwas Luft, Musik und Tanz
Läßt sich die Krankheit heilen."
 
 Da ruft van Koek: "Ein guter Rat!
Musik! Sie sollen tanzen!
Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,
Auf dem soll die Peitsche tanzen."
 
Der Präsident der Sozietät
Der Tulpenveredlung im Delfte
Ist sehr gescheit, doch hat er nicht
Von Eurem Verstande die Hälfte.
 
 Zweite Version (ca 1855)
I.
 
Der Superkargo Mynheer van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajüte;
Er kalkuliert der Ladung Betrag
Und die probabeln Profite.
 
»Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein -
Die schwarze Ware ist besser.
 
Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse.
 
Ich hab zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.
 
Bleiben mir Neger dreihundert nur
Im Hafen von Rio-Janeiro,
Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück
Das Haus Gonzales Perreiro.«
 
Da plötzlich wird Mynheer van Koek
Aus seinen Gedanken gerissen;
Der Schiffschirurgius tritt herein,
Der Doktor van der Smissen.
 
Das ist eine klapperdürre Figur,
Die Nase voll roter Warzen -
»Nun, Wasserfeldscherer«, ruft van Koek,
»Wie geht's meinen lieben Schwarzen?«
 
Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:
»Ich bin zu melden gekommen,
Daß heute nacht die Sterblichkeit
Bedeutend zugenommen.
 
Im Durchschnitt starben täglich zwei,
Doch heute starben sieben,
Vier Männer, drei Frauen - Ich hab den Verlust
Sogleich in die Kladde geschrieben.
 
Ich inspizierte die Leichen genau;
Denn diese Schelme stellen
Sich manchmal tot, damit man sie
Hinabwirft in die Wellen.
 
Ich nahm den Toten die Eisen ab;
Und wie ich gewöhnlich tue,
Ich ließ die Leichen werfen ins Meer
Des Morgens in der Fruhe.
 
Es schossen alsbald hervor aus der Flut
Haifische, ganze Heere,
Sie lieben so sehr das Negerfleisch;
Das sind meine Pensionäre
 
Sie folgten unseres Schiffes Spur,
Seit wir verlassen die Küste;
Die Bestien wittern den Leichengeruch
Mit schnupperndem Fraßgelüste.
 
Es ist possierlich anzusehn,
Wie sie nach den Toten schnappen!
Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,
Die andern schlucken die Lappen.
 
Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich
Vergnügt um des Schiffes Planken
Und glotzen mich an, als wollten sie
Sich für das Frühstück bedanken.«
 
Doch seufzend fällt ihm in die Red'
Van Koek: »Wie kann ich lindern
Das Übel? wie kann ich die Progression
Der Sterblichkeit verhindern?
 
Der Doktor erwidert: »Durch eigne Schuld
Sind viele Schwarze gestorben;
Ihr schlechter Odem hat die Luft
Im Schiffsraum so sehr verdorben.
 
Auch starben viele durch Melancholie,
Dieweil sie sich tödlich langweilen;
Durch etwas Luft, Musik und Tanz
Läßt sich die Krankheit heilen.«
 
Da ruft van Koek: »Ein guter Rat!
Mein teurer Wasserfeldscherer
Ist klug wie Aristoteles,
Des Alexanders Lehrer.
 
Musik! Musik! Die Schwarzen soll'n
Hier auf dem Verdecke tanzen.
Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,
Den soll die Peitsche kuranzen.«
II.
   
Hoch aus dem blauen Himmelszelt
Viel tausend Sterne schauen,
Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,
Wie Augen von schönen Frauen.
 
Sie blicken hinunter in das Meer,
Das weithin überzogen
Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;
Wollüstig girren die Wogen.
 
Kein Segel flattert am Sklavenschiff,
Es liegt wie abgetakelt;
Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck
Wo Tanzmusik spektakelt.
 
Die Fiedel streicht der Steuermann,
Der Koch, der spielt die Flöte,
Ein Schiffsjung schlägt die Trommel dazu,
Der Doktor bläst die Trompete.
 

 

 

 
 
Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,
Und manche schwarze Schöne
Umschlingt wie im Fieber den tanzenden Freund
Dazwischen ächzende Töne.
 
Der Herr van Koek, der leitet den Tanz,
Und hat mit Peitschenhieben
Die lässigen Tänzer aufgescheucht,
Zum Frohsinn angetrieben.
 
Und Dideldumdel und Schnedderedeng!
Der Lärm lockt aus den Tiefen
Die Ungetüme der Wasserwelt,
Die dort blödsinnig schliefen.
 
 Schlaftrunken kommen geschwommen heran
Haifische, viele hundert;
Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,
Sie sind verdutzt, verwundert.
 
Sie merken, daß die Frühstücksstund
Noch nicht gekommen, und gähnen,
Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind
Bepflanzt mit Sägezähnen.
 
Ich glaube, sie lieben nicht die Musik,
Wie viele von ihrem Gelichter.
»Trau keiner Bestie, die nicht liebt
Musik!« sagt Albions großer Dichter.
 
Und Schnedderedeng und Dideldumdei -
Die Tänze nehmen kein Ende.
Am Fockmast steht der Herr van Koek
Und faltet betend die Hände:
 
"Um Christi willen verschone, o Herr,
Das Leben der schwarzen Sünder!
Erzürnten sie dich, so weißt du ja,
Sie sind so dumm wie die Rinder.
  
Verschone ihr Leben um Christi will'n,
Der für uns alle gestorben!
Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,
So ist mein Geschäft verdorben."
II.
 
Hoch aus dem blauen Himmelszelt
Viel tausend Sterne schauen,
Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,
Wie Augen von schönen Frauen.
 
Sie blicken hinunter in das Meer,
Das weithin überzogen
Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;
Wollüstig girren die Wogen.
 
Kein Segel flattert am Sklavenschiff,
Es liegt wie abgetakelt;
Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck,
Wo Tanzmusik spektakelt. 
 
Die Fiedel streicht der Steuermann,
Der Koch, der spielt die Flöte,
Ein Schiffsjung' schlägt die Trommel dazu,
Der Doktor bläst die Trompete.
 
Wohl hundert Neger, Männer und Fraun,
Sie jauchzen und hopsen und kreisen
Wie toll herum; bei jedem Sprung
Taktmäßig klirren die Eisen.
 
Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,
Und manche schwarze Schöne
Umschlinge wollüstig den nackten Genoß -
Dazwischen ächzende Töne.
 
Der Büttel ist Maître des plaisirs,
Und hat mit Peitschenhieben
Die lässigen Tänzer stimuliert,
Zum Frohsinn angetrieben.
  
Und Dideldumdei und Schnedderedeng!
Der Lärm lockt aus den Tiefen
Die Ungetüme der Wasserwelt,
Die dort blödsinnig schliefen.
 
Schlaftrunken kommen geschwommen heran
Haifische, viele hundert;
Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,
Sie sind verdutzt, verwundert.
 
Sie merken, daß die Frühstückstund'
Noch nicht gekommen, und gähnen,
Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind
Bepflanzt mit Sägezähnen.
 
Und Dideldumdei und Schnedderedeng -
Es nehmen kein Ende die Tänze.
Die Haifische beißen vor Ungeduld
Sich selber in die Schwänze.
 
Und Schnedderedeng und Dideldumdei -
Die Tänze nehmen kein Ende.
Am Fockmast steht Mynheer van Koek
Und faltet betend die Hände:
 
»Um Christi willen verschone, o Herr,
Das Leben der schwarzen Sünder!
Erzürnten sie dich, so weißt du ja,
Sie sind so dumm wie die Rinder.
 
Verschone ihr Leben um Christi will'n,
Der für uns alle gestorben!
Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,
So ist mein Geschäft verdorben.«
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