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Kulturgeschichte - 20. Jahrhundert


   
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20. Jahrhundert  

B. Langenbach Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
1941 Ernteeinsatz des BDM  
Fortsetzung

Im Sommer 1941 - der Rußlandfeldzug hatte begonnen - wurde eine Aktion eingeleitet, die hieß: 1000 westfälische BDM-Mädchen helfen den Umsiedlern bei der Ernte. Der Polenfeldzug war vor zwei Jahren beendet worden. Hitler hatte in seinem (einzigen) Buch „Mein Kampf" folgenden Satz geschrieben, den wir im Geschichtsunterricht lernten: „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich" Dazu gehörten eben nicht nur die Österreicher (die waren ja schon 1938 im „Großdeutschland" eingebürgert worden, sondern auch ehemalige Aussiedler aus Rumänien, Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und viele andere. Sie alle sollten „heim ins Reich".

So wurden viele, viele Familien mit „großem Gepäck" (wozu auch Möbel und Haushaltsgegenstände gehörten) mit der bahn in das ehemalige Polen befördert. Man muß dazu wissen, daß z.B. Westpreußen eine wechselhafte Geschichte hatte . Nach dem ersten Weltkrieg ging es an Polen verloren, nun hatte Hitler es zurückerobern lassen und infolgedessen mußten es Deutsche besiedeln. Heute wissen wir, was es bedeutet, vertrieben zu werden, plötzlich vor dem Nichts zu stehen und gar nichts mehr zu besitzen. 

(Hier kann Brigitte Schlu natürlich nicht die gesamte geschichtliche Entwicklung skizzieren, angefangen bei den Pruzzen ab dem MA bis heute, aber man sollte sich mit der Deutschordensgeschichte und der gemeinsamen Geschichte von Polen und Deutschland ruhig einmal befassen (MS)

Die Umsiedler bekamen einen polnischen Hof zugewiesen, auf dem sie nun wirtschaften konnten (wo waren die Polen geblieben ?) Es war bei uns wohl bekannt, daß allerhand an Unsauberkeit herrschte. Wir kannten sie alle aus der Arbeit vom VDA (Volkstum der Deutschen im Ausland). Ebbi war im gleichen Jahr, nach ihrem Lehrerexamen, auch in den Osteinsatz gekommen: ins südliche Ostpreußen, das war mehr polnisch als deutsch und sie hatte nicht wenig Mühe, ihren volksdeutschen (im Gegensatz zu den reichsdeutschen) Schülern etwas beizubringen. Sie hat länger als vier Jahre dort gearbeitet und ich habe sie auch mal dort besucht.

Aber nun zum Osteinsatz des BDM. Ich freute mich nach meiner Meldung, daß ich mitfahren durfte. Ich war gerade sechzehn Jahre alt. Dieser Transport ging von Dortmund in einem Sonderzug über Berlin nach Danzig. Wir hatten Gelegenheit, die schöne Stadt Danzig zu sehen, mit den schönen alten Häusern mit Beischlägen. Die Marienkirche und das Krantor wurden auch besichtigt.

Wir machten einen Ausflug nach Marienburg, einer Festung des Deutschen Ritterordens. Das war fantastisch, die alte Burg zu besichtigen. Später gingen wir in die Jugendherberge Marienburg. Sie war ganz neu gebaut worden und ein Schmuckstück des deutschen Handwerks. Alle Handwerker, die irgendwie mit dem Baugewerbe zu tun hatten, hatten ihr Bestes gegeben. Es hingen auch schöne Bilder an den Wänden (wahrscheinlich u.a. Reproduktionen aus der Manessischen Handschrift, z.B. Walter von der Vogelweide) und wie uns mitgeteilt wurde, waren sogar die Bildernägel handgeschmiedet. Unser Bestimmungsort hieß Nakel, Kreis Wirsitz. Unserer Gruppe bestand aus etwa zehn Personen und wir schliefen in einem heruntergekommenen alten, ehemals schönem Gutshof. Von dort gingen wir jeden Morgen zu der jeweils zugeteilten Bauernfamilie. Meine Familie (Fälchle) war aus Bessarabien/Rumänien gekommen: ein junges Ehepaar mit drei Kindern und das nächste war unterwegs. Sie hatten geweint, als sie in dieses Haus einziehen mußten, weil alles drin so schmutzig war. Im Stall konnte ich sehen, daß auch die Tiere anders gehalten worden waren als bei uns: sie standen auf einem Sockel, der etwa einen halben Meter hoch war. Es wurde nämlich immer nur frische Streu auf die alte geworfen und die Tiere traten dann alles fest. Der Bauer mußte mit der Spitzhacke dran um Tag für Tag die harte Kruste zu entfernen. Familie Fälchle hatte nur ein gutes Messer, mit dem wurde Brot geschnitten und Butter draufgeschmiert und einmal sogar ein Hähnchen („Kickle") geschlachtet. Das ging mir aber durch Mark und Bein, denn das Schlachten ging auf dem Holzklotz vor sich und der erste Schwertstreich war beim Köpfen oft nicht der letzte.

 

Fam. Fälchle
Foto Familie Fälchle

Als der Roggen reif war, wurde er mit der Sense geschnitten; es waren drei Polen mit dabei. Ich habe da gelernt, mit dem Fuß das geschnittene Korn etwas zusammenzuschieben, aufeinanderzuschichten und dann mit einigen Halmen ein Band zu machen, das um das liegende Bündel gedreht wurde. Das war eine Garbe. Wenn alles zu Garben gebündelt war, wurden diese, vielleicht sechs, mit den Ähren nach oben aufgestellt, so daß der Wind zum Trocknen durchfahren konnte.