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Kulturgeschichte - Spätrenaissance - Tonartencharakter


Spätrenaissance

Venezianische Musik

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Biographie G, Gabrielis

Kompositionslehre Gabrielis
1. Hintergründe
2. Theorie
Die Tonartenlehre

Der Tonartencharakter und die Affektenlehre bei Gabrieli

Die Intervallehre des 16. Jahrhunderts

Stimmunfänge, Tonhöhen,

Transpositionsanweisungen und Schlüsselung

Die Entwicklung der "cori spezzati" - Technik

Andrea und Giovanni Gabrieli und ihr Verhältnis zu Orlando di Lasso

3. Aufführungspraxis
4. Beispiele
5. Zusammenfassung
6. Literatur

2.2.1 Der Tonartencharakter und
die Affektenlehre bei Gabrieli
aus: Kompositionstechnik und Aufführungspraxis mehrchöriger Werke der venetianischen Spätrenaissance -
dargestellt am Beispiel Giovanni Gabrielis in San Marco/Venedig. Überarbeitete Staatsarbeit von Martin Schlu, Bonn 1984/2008

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1°tono - 2° tono - 3° tono - 4° tono - 5° tono - 6° tono -
7° tono - 8° tono - 9° tono - 10° tono -11° tono - 12° tono

Die früheste Harmonielehre, die eine Affektenlehre beschreibt, ist wahrscheinlich die "Institutione harmoniche" von Gioseffe Zarlino aus dem Jahre 1558 (zit. nach Huber, 127). Danach baut Zarlino seine "Affektenlehre" auf der alten Überlieferung auf, nach der zu den vier alten - authentischen - Modi bzw. Tonarten es ein Gegenstück, nämlich die vier "humores" gibt, die alten griechischen Temperamente, die sich an den vier Körpersäften orientierten : Phlegmatiker (phlegma = Schleim), Choleriker (chole=Galle), Sanguiniker (lat. sanguis = Blut) und Melancholiker (melain chole = schwarze Galle). Hier wird jedem Temeperament eine Tonart zugeordnet, angeblich schon seit Hippokrates - dummerweise führt Huber nicht aus, was jetzt wozu gehört.
 
Siegfried Schmalzried beschreibt, daß in dem Augenblick, als Zarlino eine relativ genaue Beschreibung der Affektenlehre nach griechischem Vorbild gibt, Gabrieli dies bereits wieder sehr stark reduziert (a.a.O 46ff). Während Zarlino, Tigrini, Artusi (der sich später sehr mit Claudio Monteverdi anlegen wird) und Diruta noch sehr differenziert nach authentischen, plagalen, untransponierten und transponierten Modi unterscheiden, vereinfacht Giovanni Gabrieli schon und schreibt nur noch den Hauptgruppen unterschiedliche Bedeutung zu.Im folgenden kristallisiert sich bei Gabrieli folgender Tonartengebrauch heraus:
 
1. Ton (dorisch)
"primo tono" / "1° tono"
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Das Dorische steht für eine besondere Würde und Vornehmheit, steht für gewichtigen Ernst und eine bestimmte Form der "gravitas" (Abert, 235). Es liegt zwischen Trauer und Heiterem, verschleißt sich im Lauf der Zeit aber als Standardtonart für feierliche Anlässe, für "Affekte der mittleren Lage" (Schmalzried).
Verwendung bei Gabrieli:
Der erste Ton (1° tono) wird universell für "Affekte mittlerer Lage" (Schmalzried) eingesetzt, eben als Standardtonart für feierliche Anlässe
 
  
2. Ton (hypodorisch)
"secondo tono" / "2° tono"
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Aufgrund der tieferen Lage eignet sich diese Tonart für ernste und klagende Stimmungen, sie gilt gleichzeitig als Tonart der demütigenden Bitte, der Traurigkeit und Sorge. Nach Dirutra ist die Transposition des zweiten Tones in die Oberquart dagegen geeignet, lebendige und heitere Affekte zu beschreiben.
Verwendung bei Gabrieli:
Der zweite Ton (2° tono) wird transponiert gebraucht, um heitere Affekte auszudrücken.
 
 
3. Ton (phrygisch)
"terzio tono" / "3° tono"
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In der Antike nach Abert als "enthusiastischer" Ton aufgefaßt, entwickelt diese Tonart einen stürmischen, feurigen und kriegerischen Charakter. In der Renaissance gilt der der dritte Ton (3° tono) als geeignet, die Hörer zum Weinen zu bewegen und wird für einen Ausdruck der Trauer und Klage gebraucht. 
Verwendung bei Gabrieli:
Die Verwendung des dritten Tones (3° tono) findet sich in "Ego Dixit" (CMM 12.1, S. 6)
 
 
4. Ton (hypophrygisch)
"quarto tono" / "4° tono"
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Dieser Ton ist noch trauriger als der dritte, seine Verwendung liegt bei Vertonungen der Traurigkeit, des Wehklagens, flehentlichem Jammern über unerfüllte Liebe aber auch bei Ruhe, Stille und Müßiggang.
Verwendung bei Gabrieli:
Der vierte Ton (4° tono) wird vor allem bei Instrumentalwerken feierlichen Charakters verwendet, wie z. B. bei der "Canzon Quarti Toni", die überwiegend mit Posaunen besetzt ist. Innerhalb der Chorwerke findet der dritte und Vverte Ton kombiniert Verwendung bei Texten über Schmerz, Trauer, Tod, Grausamkeit und Tränen. Beispiele dafür sind u.a. das "Misericordias Domini" (CMM 12.1, S. 114).
  
 
5. und 6. Ton (lydisch und hypolydisch)
"quinto" und "sesto tono" / "5° & 6° tono"
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Das authentische Lydische hat nach Abert (S. 239) einen heiteren und frohen Charakter, es bezeichnet einen Ausdruck der Freude. Der hypolydische Ton dagegen ähnelt dem vierten Ton: es ist die Tonart des Weinens, Klagens und der unerfüllten Liebe.
Verwendung bei Gabrieli:
Diese Tonarten werden nicht mehr verwendet,. So wird nach Schmalzried (S. 44) bereits um 1500 der fünfte Ton mit der Finalis "c" gelehrt, der sechste Ton - ebenfalls mit der Finalis "c" - dagegen mit "b" notiert, so daß diese Tonarten als Transposition anderer Modi erscheinen und in reiner Form nicht mehr vorkommen.
  
 
7. und 8. Ton (mixolydisch und hypomixolydisch)
"septimo" und "octavi tono" / "7° & 8° tono"
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Der siebte Ton wird mit der Jugend in Verbindung gebracht. Er zeichnet sich durch leichte Beweglichkeit Übermütigkeit und einen fast weltlichen Charakter aus. Sein Gegenstück, der achte Ton, hat einen würdevollen Anflug von abgeklärter Gelassenheit (Die Zahl Acht hat nach der barocken Zahlensymbolik den Charakter der Überwindung von Kummer und Mühsal, sie steht für ewige Ruhe und Seligkeit).
Verwendung bei Gabrieli:
Einerseits gibt es Canzonen des siebten Tones, andererseits Canzonen, die zwischen authentischer und plagaler Tonart wechseln.. Beispiele dafür sind die "Canzon Septimi Toni" Nr. 1 und 2 (IM, Bd. II, S. 14f und S. 30 f) und die "Canzon Septimi et Octavi Tonio" (IM ebd. S. 230). Gabrieli setzt mixolydische Tonarten eher im Sinne des achten Tones ein.
  
 
9. Ton (äolisch
"nono tono" / "9° tono"
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Diese Tonart ist mit der des ersten Tones nah verwandt. Sie hat mit ihr die ernsten Eigenschaften gemeinsam, verfügt jedoch über einen Anflug von Heiterkeit im Sinne des achten Tones.
Verwendung bei Gabrieli:
"Canzon Noni toni"

10. Ton (hypoäolisch)
"decimo tono" / 10° tono"
Hat der neunte Ton noch gewisse heitere Eigenschaften, wird seine Plagaltonart mit Eigenschaften des zweiten und vierten Tones benannt. Er ist besonders geeignet für traurige Texte über Jammer, Strafe, Streit und Ermahnungen.
Verwendung bei Gabrieli:
Gabrieli verwendet in den Chorstücken den neunten und zehnten Ton in einer ernsten Mischform wie z.B. in "Deus, Deus meus" (CMM 12.1. S. 18f) oder in "Angelus ad Pastores" (CMM 12.1. S. 34f). Dagegen ist die "Canzon Noni Toni á 12" (IM, Bd. II, S. 247) ein relativ heiteres Stück.
 
 
11. und 12. Ton (ionisch und hypoionisch)
"undecimo" et "duodecimo tono" / "11° & 12° tono"
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Nach Ansicht der Theoretiker ist der elfte Ton der heiterste, der zwölfte Ton dagegen eine Tonart des Jammers (vgl. 9. und 10. Ton)
Verwendung bei Gabrieli:
Gabrieli nimmt den elften Ton ausschließlich für jubelnde Chorstücke wie "O quam gloriaosa" á 16 (CMM 12.5. S. 112f). Der zwölfte Ton kommt dagegen relativ häufig in den Instrumentalstücken vor - allein in den "Sacrae Symphoniae" von 1597 gibt es sechs Canzoni des zwölften Tones (IM, Bd. II, S. 52f, 95f, 118f, 158f, 180/181ff).
 

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