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Kulturgeschichte - 19. Jahrhundert


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Die Füße im Feuer - Gedicht und Hintergrund
erstellt von Martin Schlu, September 2004

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Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann.
 
„Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!"
„Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmerts mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!"
 
Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild.
 
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebendgen Brand. Er brütet, gafft.
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut ...
 
Den Abendtisch bestellt' die greise Schaffnerin
Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein half,
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hing schreckensstarr am Gast und hing am Herd entsetzt...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
 
Drei Jahre sinds ... Auf einer Hugenottenjagd ...
Ein fein, halsstarrig Weib ... 'Wo steckt der Junker? Sprich!'
Sie schweigt. 'Bekenn!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt
Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf.
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt,
Sie windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.
Eintritt der Edelmann. „Du träumst? Zu Tische, Gast."
 
Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an &endash;
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!" Ein Diener leuchtet ihm.
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr.
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.
Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht. Dröhnt hier ein Tritt? Schleicht dort ein Schritt?
Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut. Er träumt.
'Gesteh!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ...
 
„Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!"
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr &endash; ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.
 
Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedselge Wolken schwimmmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächtgen Wacht.
Die dunkeln Schollen atmen kräftgen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
 
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!" Der andre spricht:
„Du sagts! dem größten König eigen! Heut ward
Sein Dienst mir schwer. Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst!
Mein ist die Rache, redet Gott."
 
Hintergrund - Gedicht - 30jähriger Krieg - Seitenanfang
Um 1174 gründete der Lyoner Kaufmann Petrus Valdes eine Orden, der später als "Waldenser" bekannt wurde. Zentrale Glaubensinhalte waren u.a. Ablehnung der Heiligenverehrung, des Ablasses, der Todesstrafe, des Eides und der katholischen Kindstaufe. Der Bann der katholischen Kirche erfolgte bereits zehn Jahre später und - anders als später Martin Luther - wurden die Waldenser in ganz Europa verfolgt. 1532 schlossen die Waldenser mit den Anhängern Johann Calvins, den "Calvinisten", einen Bund und versuchten, die nächsten Jahrhunderte Religionsfreiheit zu erlangen (was erst 1848 erreicht wurde). Johannes Calvin mußte 1533 aus Frankreich fliehen und ging in die Schweiz. Obwohl auch dort ab 1538 amtliche Edikte (Erlasse) gegen die "Ketzerei" der reformatorischen Anhänger erlassen wurden, bildeten sich in den nächsten zwanzig Jahren überall calvinistisch-reformierte Gemeinden, die sich allerdings heimlich trafen, um nicht als Ketzer verbrannt zu werden. Als Karl IX. bemerkte, daß die "Hugenotten", wie sie nun genannt wurden, an gesellschaftlichem und kulturellem Ansehen gewannen, begann er die Kriege gegen sie. Von 1562 bis ca 1600 fanden acht Kriege gegen Hugenotten statt, oft zogen Mordkommandos durch das Land um Hugenotten gezielt zu töten. 1572 kam es zur "Bartholomäusnacht, als der Protestant (Hugenotte) Heinrich von Navarra (der spätere König Heinrich IV.) die Katholikin Margarete von Valois heiratete. Die Ehe galt als Sakrileg und man tötete alle Menschen, von deren protestantischem Glaube man wußte. Heinrich überlebte diese Nacht zwar, trat aber 1593 zum Katholizismus über. 1598 erließ er das Edikt von Nantes, das den Katholizismus als Staatsreligion festlegte, jedoch ansonsten Glaubensfreiheit garantierte.  
 
Heinrich gewährte Hugenotten nun auch Zutritt zu öffentlichen Ämtern, richtete konfessionell gemischte Gerichtshöfe ein und definierte "Sicherheitsplätze",wie z.B. die Hafenstadt La Rochelle. Das Edikt von Nantes blieb Grundlage der bürgerlichen und religiösen Rechte der Hugenotten, bis Heinrich von Navarra vom religiösen Fanatiker Francois Ravaillac 1610 ermordet wurde. Der Nachfolger, Ludwig XIII. , setzte Kardinal Richelieu als Berater ein, der nun versuchte, die Sonderstellung der Hugenotten (Staat im Staate) aufzuheben. Nachdem Richelieu einen Krieg gegen die Hugenotten geführt hatte, bei dem 15.000 Einwohner von La Rochelle verhungerten, verloren die Hugenotten ihren Einfluß, ihre Sicherheitsplätze und alle politisch-militärischen Rechte. Die Angst vor dem "Staat im Staat" war größer, als staatliche Vernunft und Toleranz.
 
Nun kam die erste Flüchtlingswelle zustande und planmäßige Verfolgungen unter Ludwig XIV. setzten ab 1643 ein. Die Aufhebung des Toleranzedikt von Nantes löste die 2. Fluchtwelle von insgesamt einer Viertelmillion Hugenotten in die umliegenden protestantischen Länder aus, vor allem nach Preußen und Württemberg. Ab 1660 wurden die Verfolgungen gegen die Hugenotten weiter verschärft, ab 1679 wurden sie von eingesetzten Dragonern (berittenen Soldaten) offiziell verfolgt und gejagt, damit sie zwangsweise rekatholisiert wurden. Man besetzte hugenottische Häuser, folterte die Angehörigen und bedrohte das Leben der hugenottischen Familien. In dieser Zeit spielt das Gedicht Conrad Ferdinand Meyers.
 
Mit dem Edikt von Fontainebleau von 1685 stellte Ludwig XIV. den status quo (alten Zustand) wieder her: protestantische Kirchen wurden zerstört, private Versammlungen und reformierte Gottesdienste wurden verboten, protestantische Geistliche mußten das Land verlassen, ihre älteren Kinder mußten jedoch bleiben, damit sie katholisch erzogen werden können. Nach der Revolution und der französischen Verfassung 1791 setzte sich nicht nur in Frankreich die Bezeichnung "Protestanten" durch. "Hugenotten" sind genaugenommen die calvinistischen Gläubigen während der Zeit ihrer Verfolgung in Frankreich. Bis heute ist Frankreich vorwiegend katholisch, jedoch hat die kleine Gruppe der Protestanten einen relativ großen Einfluß, der damit zu erklärten ist, daß die Bildungselite Frankreichs Wert auf liberale Glaubenssätze liegt, die denen der katholischen Kirche zuwiderlaufen. (MS)
 
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hugenotten, August 2005
 
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