www.martinschlu.de


Kulturgeschichte - Mittelalter


Mittelalter

Hochmittelalter
Spätmittelalter

 

Anfangsseite

Es fügt sich
(Biographie)

Viel liber gruesse suesse

 

 

-> Querformat bitte nutzen

Stand der Seite: 20. August 2002

Spätmittelalter

Oswald von Wolkenstein Oswald von Wolkenstein

(ca. 1377 - 1445) ist zwar einer der untypischen Vertreter des ausgehenden Mittelalters, jedoch kann man anhand seines großen Lebensberichtes "Es fuegt sich" sehr genau nachverfolgen, wie ein Ritter erzogen wurde, wie die Anforderungen an höher gestellte Adlige waren und wie weit man herumkommen konnte. Wen es interessiert: die immer noch beste Wolkenstein-Biographie hat Dieter Kühn vorgelegt ("Ich, Wolkenstein"), sie ist als Taschenbuch im Insel-Verlag zu bekommen und obwohl schon älter, immer noch mit Genuß zu lesen. Dieter Kühn verdanke ich viel Hintergrundwissen über die Wolkensteinepoche - ebenfalls beispielhaft ist seine Biographie über Clara Schumann und sein Buch über Parsival.

Es fuegt sich, Es fügte sich,
do ich was von zehen jaren alt als ich zehn Jahre alt war,
ich wolt besehen, da wollte ich sehen,
wie die welt wär gestalt. wie die Welt wäre.
mit ellend, armuet In Not und Armut,
mangen winkel haiss und kalt in manchem heißen und kalten Ort
hab ich gepaut habe ich seither gehaust,
pei cristen, Kriechen, haiden. bei Christen, Orthodoxen, Heiden.

Drei pfenning in dem peutel Drei Pfennig im Gepäck
und ain stücklin brot und ein Stück Brot,
das was von haim mein zerung mehr gab's von zuhause nicht,
do ich loff in not. so lief ich ins Elend.
von fremden, freunden Im Streit mit Fremden und Freunden
so hab ich manchen tropfen rot habe ich manchen Tropfen Blut
gelassen seider, seitdem gelassen,
dass ich wand verschaiden. daß ich schon zu sterben glaubte.


Ich loff ze fuess Ich lief zu Fuß
mit swerer buess, wie ein Büßer,
bis das mir starb mein vatter zwar, dann starb mein Vater, ich war
wol vierzen jar, gerade mal vierzehn Jahre, 
nie ross erwarb und nie hatte ich ein Pferd besessen,
wenn aines roupt, nur eines, halb geraubt,
stal ich halbs zu mal halb gestohlen,
mit valber varb ein Schimmel,
und des geleich schied ich und genauso wurde ich ihn wieder los,
davon mit laide. aber mit Schaden .
Zwar renner, koch Ich war Laufbote, Koch,
so was ich doch sogar mal
und marstaller, Pferdemeister,
auch an dem rueder auch am Ruder
zoch ich zu mir, habe ich gezogen,
das was swer, das war schwer,
gen Kandia und anderswar bis nach Kreta
ouch widerhar und sonstwohin und wieder zurück.
vil mancher kittel Oft war ein einfacher Kittel
was mein bestes klaide.mein bestes Kleid.

Kommentar:
Oswald beschreibt hier das typische Schicksal des adligen Jungen, der die Welt eben nicht "wolt besehen" sondern wahrscheinlich, weil als Knappe alt genug, eher zwangsweise auf irgendeinen Feldzug mitmußte "kristen, kriechen, haiden" - hier wird sicherlich kein Kreuzzug beschrieben, bei dem Oswald mitmußte - wahrscheinlich eher eine Pilgerfahrt um 1490 "drei pfennig" ist natürlich fett gelogen, so arm waren Wolkensteins nicht, aber das findet man oft in Autobiographien, daß man sein Schicksal etwas schwerer als tatsächlich macht, damit man später mehr Bewunderung erntet - so etwas kennen wir alle.  "manchen tropfen rot" - ohne Verletzungen geht so etwas nicht ab - immerhin ist Oswald so sein Auge losgeworden, wie das Bild von 1430 dokumentiert."auch an dem rueder zoch ich" - denkbar, daß er von Piraten als Galeerensklave benutzt wurde, freiwillig hat er das wohl nicht getan.


Gen Preussen Littwan Gegen Preußen und Litauen,
Tartarei Türkei uber mer Rumänien, die Türkei (Asien),
gen Frankreich Lampart gegen Frankreich, Italien,
Ispanien mit zwaien kunges her gegen Spanien (unter zwei Königen),
traib mich die minn alles aus Liebe,
auf meines aigen geldes wer nicht aus Gewinnsucht,
Ruprecht Sigmund gegen Ruprecht und Sigismund
baid mit des adlers streiffen beide mit den polnischen Zeichen.

Franzoisch, mörisch Französisch, arabisch,
katlonisch und kastilian katalanisch und kastilisch,
teutsch, latein, windisch, deutsch, lateinisch, böhmisch
lampertisch, reuschisch und roman italienisch, russisch und französisch,
die zehen sprach hab ich gebraucht diese zehn Sprachen brauchte ich,
wenn mir zerran wenn ich weiter mußte,
auch kund ich fidlen außerdem konnte ich fiedeln
trummen paugken pfeiffen.. trommeln, pauken und trompeten...


Kommentar:
Oswald hat auf seinen diversen Feldzügen natürlich irgendwie die Sprachen aufgeschnappt. Wahrscheinlich hat er sie nicht fließend gesprochen, aber er hat sich irgendwie mit ihnen verständigen können. Der Hinweis auf Sigismund und auf Ruprecht ist immerhin Beleg für eine lange Dienstzeit in einem Heer.

Das Bild von Albrecht Dürer entstand allerdings wesentlich später, welche Vorlage Dürer verwendet hat, ist nicht bekannt. Der von Dürer gezeichnete Schmuck des Kaisers mag ein Beleg für eine gefüllte Kasse seitens Siguimund gewesen sein.

Siguimund
Siguimund


Mein tummes leben Mein dummes Leben
wolt ich verkeren woll' ich ändern,
das ist war wirklich,
und ward ain halber beghart ich wurde ein halber Bettelmönch
wol zwai ganze ja rüber zwei Jahre lang,
mit andacht was der anfank anfangs sogar mit Andacht,
sicherlichen zwar ganz gewiß.
hett mir die minn Hätte mir nur die Liebe nicht
das ende nicht erstöret. einen Strich durchgemacht.

Die weil ich rait und suechet Ich ritt und suchte
ritterliche spil Ritterspiele
und dient zu willen ainer frauen und diente einer Frau,
des ich hil den Namen verrate ich nicht,
die wolt mein nie genaden da kam ich nie zum Zuge,
ainer nussen vilsie war eine harte Nuß,
bis das ain kutten bis eine Kutte
meinen leib bedore t meinen Leib bedeckte.

Vil manig ding mir do gar ring Vieles ging sehr leicht
zu handen ging mit den Händen (und anders),
do mich die kappen solange mich die Kapuze
mit dem lappen umbefing und die Kutte tarnte.
zwar vor und seit mir Davor und danach
nie kain meit so wol verhing war's mit den Mädchen nie so leicht,
die mein wort freuntlich da wurden meine Worte
gen ir gehöret. nicht so gern gehört.

Mit kurzer schnuer Kurzerhand
die andacht fuer zum gibel aus war es mit der Andacht vorbei.
do ich di kutt Als ich die Kutte
von mir do schutt von mir warf,
in nebel rausswar es draußen neblig.
seid hat mein leib Seitdem hat mein Körper
mitleid vortreib viel durchgemacht,
vil mangen strauss viel Arger gab es,
gelitten und ist halb viel Leid, und die Liebe
mein freud erfröret ist ziemlich abgekühlt.

Ich han gelebt wol, vierzig jar Ich habe vierzig Jahre gut gelebt
leicht minner zwai (minus zwei im Kloster)
mit toben wüten tichten mit Toben, Wüten, Dichten
singen mangerlei Singen und anderem.
es wer wol zeit Es wäre jetzt Zeit
das ich meins aigen kindes geschrai das Geschrei meines eigenen Kindes
eleichen hort in ainer wiegen gellen aus einer ehelichen Wiege zu hören.

So kann ich der vergessen So könnte ich die vergessen
nimmer ewiklich(sonst nie),
die mir hat geben mut die mir Sinn(lichkeit) gegeben hat
uff disem ertereich für dieses Leben.
in aller werlt Auf der ganzen Welt
kund ich nicht finden iren gleich fand ich keine wie sie,
auch fürcht ich ser auch fürchte ich mich sehr
elicher weibe bellen vor dem Gekeife der Ehefrau.
In Urtail rat In Rat und Urteil
vil waiser hat geschätzet mich schätze mich manch Weiser
dem ich gevallen han dem ich gefallen habe
mit schallen liederlich mit gesungenen Liedern.

ich Wolkenstein Ich, Wolkenstein,
leb sicher klain vernünftiklich lebe sicher nicht sehr vernünftig,
des ich der werlt daß ich der Welt
also lang beginn zu hellen immer gefallen will,
Und wol bekenn und doch bekenne ich:
ich wais nicht wenn ich sterben sol ich weiß nicht, wann ich sterben soll.
das mir nicht scheiner volgt Es gibt nichts für den Schein,
wann meiner berche zol nur für gute Taten
het ich dann got zu seim gebot hätt' ich nur Gottes Gebot befolgt,
gedienet wol ihm gut gedienet,
so forcht ich klain dort so hätt' ich keine Angst
haisser flamme wellen. vor den heißen Höllenfeuern.

Weitere Informationen erhalten Sie in der Projekthomepage des Instituts für Germanistik der Universität Graz, Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften e.V.
Sieglinde Hartmann e-mail: Wolkenstein.Gesellschaft@t-online.de
Maedievum.de: Oswald...
Spätmittelalter: Das Zeitalter Oswalds...