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Kulturgeschichte - Klassik


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Inhaltsangabe

 

Friedrich von Schiller
Kabale und Liebe

 
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 Luise Millerin kommt, ein Buch in der Hand. Vorige.
 
Luise
legt das Buch nieder, geht zu Millern und drückt ihm die Hand
Guten Morgen, lieber Vater.
 
Miller
warm
Brav, meine Luise - Freut mich, daß du so fleißig an deinen Schöpfer denkst. Bleib immer so, und sein Arm wird dich halten.
 
Luise
O! ich bin eine schwere Sünderin, Vater - War er da, Mutter?
 
Frau
Wer, mein Kind?
 
Luise
Ah! ich vergaß, daß es noch außer ihm Menschen gibt - Mein Kopf ist so wüste - Er war nicht da? Walter?
 
Miller
traurig und ernsthaft
Ich dachte, meine Luise hätte den Namen in der Kirche gelassen?
 
Luise
nachdem sie ihn eine Zeitlang starr angesehen
Ich versteh' ihn, Vater - fühle das Messer, das Er in mein Gewissen stößt; aber es kommt zu spät. - Ich hab' keine Andacht mehr, Vater - der Himmel und Ferdinand reißen an meiner blutenden Seele, und ich fürchte - ich fürchte - (Nach einer Pause.) Doch nein, guter Vater. Wenn wir ihn über dem Gemälde vernachlässigen, findet sich ja der Künstler am feinsten gelobt. - Wenn meine Freude über sein Meisterstück mich ihn selbst übersehen macht, Vater, muß das Gott nicht ergötzen?
 
Miller
wirft sich unmuthig in den Stuhl
Da haben wir's! Das ist die Frucht von dem gottlosen Lesen.
 
Luise
tritt unruhig an ein Fenster
 
Wo er wohl jetzt ist? - Die vornehmen Fräulein, die ihn sehen - ihn hören - ich bin ein schlechtes, vergessenes Mädchen.
Erschrickt an dem Wort und stürzt ihrem Vater zu
 
Doch nein, nein! verzeih' Er mir. Ich beweine mein Schicksal nicht. Ich will ja nur wenig - an ihn denken - das kostet ja nichts. Dies Bischen Leben - dürft' ich es hinhauchen in ein leises, schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen; - dies Blümchen Jugend - wär' es ein Veilchen, und er träte drauf, und es dürfte bescheiden unter ihm sterben! - Damit genügte mir, Vater! Wenn die Mücke in ihren Strahlen sich sonnt - kann sie das strafen, die stolze majestätische Sonne?
 
Miller
beugt sich gerührt an die Lehne des Stuhls und bedeckt das Gesicht
Höre, Luise - das Bissel Bodensatz meiner Jahre, ich gäb' es hin, hättest du den Major nie gesehen.
 
Luise
erschrocken
Was sagt Er da? was? - Nein, er meint es anders, der gute Vater. Er wird nicht wissen, daß Ferdinand mein ist, mir geschaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden. (Sie steht nachdenkend.) Als ich ihn das Erstemal sah -
rascher
 
und mir das Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach, jeder Athem lispelte: er ist's! - und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekräftigte: er ist's! und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuende Welt! Damals - o damals ging in meiner Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenn's Frühling wird. Ich sah keine Welt mehr, und doch besinn' ich mich, daß sie niemals so schön war. Ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt' ich ihn nie so geliebt.
 
Miller
tritt auf sie zu, drückt sie wider seine Brust
Luise - theures - herrliches Kind - nimm meinen alten mürben Kopf - nimm Alles - Alles! - den Major - Gott ist mein Zeuge - ich kann dir ihn nimmer geben.
Er geht ab
 
Luise
Auch will ich ihn ja jetzt nicht, mein Vater! Dieser karge Thautropfen Zeit - schon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig auf. Ich entsag' ihm für dieses Leben. Dann, Mutter - dann wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen - wenn von uns abspringen all die verhaßten Hülsen des Standes - Menschen nur Menschen sind - Ich bringe nichts mit mir, als meine Unschuld; aber der Vater hat ja so oft gesagt, daß der Schmuck und die prächtigen Titel wohlfeil werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich werde dann reich sein. Dort rechnet man Thränen für Triumphe und schöne Gedanken für Ahnen an. Ich werde dann vornehm sein, Mutter - Was hätte er dann noch vor seinem Mädchen voraus?
 
Frau
fährt in die Höhe
Luise! der Major! Er springt über die Planke. Wo verberg' ich mich doch?
 
Luise
fängt an zu zittern
Bleib Sie doch, Mutter!
 
Frau
Mein Gott! Wie seh' ich aus; ich muß mich ja schämen. Ich darf mich nicht vor seiner Gnaden so sehen lassen.
Ab
 
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