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Kulturgeschichte - Klassik


Schiller - Anfang

Biographie

Don Carlos

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Johann Christoph Friedrich Schiller - Don Carlos

SchillerFünfter Akt, Neunter Auftritt

König zu den Vorigen.

(Alle erschrecken über seinen Anblick, weichen zurück und lassen ihn ehrerbietig mitten durch. Er kommt in einem wachen Traume, wie eines Nachtwandlers. - Sein Anzug und seine Gestalt zeigen noch die Unordnung, worein ihn die gehabte Ohnmacht versetzt hat. Mit langsamen Schritten geht er an den anwesenden Granden vorbei, sieht jeden starr an, ohne einen einzigen wahrzunehmen. Endlich bleibt er gedankenvoll stehen, die Augen zur Erde gesenkt, bis seine Gemüthsbewegung nach und nach laut wird.)

König
Gib diesen Todten mir heraus. Ich muß
Ihn wieder haben.

Domingo (leise zum Herzog von Alba)
Reden Sie ihn an.

König (wie oben).
Er dachte klein von mir und starb. Ich muß
Ihn wieder haben. Er maß anders von
Mir denken.

Alba (nähert sich mit Furcht)
Sire -

König
Wer redet hier?
(Er sieht lange im ganzen Kreise herum)
Hat man
Vergessen, wer ich bin? Warum nicht auf
Den Knieen vor mir, Kreatur? Noch bin
Ich König. Unterwerfung will ich sehen.
Setzt Alles mich hintan, weil Einer mich
Verachtet hat?

Alba. Nichts mehr von ihm, mein König!
Ein neuer Feind, bedeutender als dieser,
Steht auf im Herzen Ihres Reichs. -

Feria. Prinz Carlos -

König. Er hatte einen Freund, der in den Tod
Gegangen ist für ihn - für ihn! Mit mir
Hätt' er ein Königreich getheilt! - Wie er
Auf mich herunter sah! So stolz sieht man
Von Thronen nicht herunter. War's nicht sichtbar,
Wie viel er sich mit der Erobrung wußte?
Was er verlor, gestand sein Schmerz. So wird
Um nichts Vergängliches geweint - Daß er noch lebte!
Ich gäb' ein Indien dafür. Trostlose Allmacht,
Die nicht einmal in Gräber ihren Arm
Verlängern, eine kleine Uebereilung
Mit Menschenleben nicht verbessern kann!
Die Todten stehen nicht mehr auf. Wer darf
Mir sagen, daß ich glücklich bin? Im Grabe
Wohnt Einer, der mir Achtung vorenthalten.
Was gehn die Lebenden mich an? Ein Geist,
Ein freier Mann stand auf in diesem ganzen
Jahrhundert - Einer - Er verachtet mich
Und stirbt.

Alba. So lebten wir umsonst! - Laßt uns
Zu Grabe gehen, Spanier! Auch noch
Im Tode raubt uns dieser Mensch das Herz
Des Königs!

König (Er setzt sich nieder, den Kopf auf den Arm gestützt).
Wär' er mir also gestorben!
Ich hab' ihn lieb gehabt, sehr lieb. Er war
Mir theuer, wie ein Sohn. In diesem Jüngling
Ging mir ein neuer, schönrer Morgen auf.
Wer weiß, was ich ihm aufbehalten! Er
War meine erste Liebe. Ganz Europa
Verfluche mich! Europa mag mir fluchen.
Von diesem hab' ich Dank verdient.

Domingo. Durch welche
Bezauberung -

König. Und wem bracht' er dies Opfer?
Dem Knaben, meinem Sohne? Nimmermehr.
Ich glaub' es nicht. Für einen Knaben stirbt
Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme
Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug
Der ganzen Menschheit. Seine Neigung war
Die Welt mit allen kommenden Geschlechtern.
Sie zu vergnügen fand er einen Thron -
Und geht vorüber? Diesen Hochverrath
An seiner Menschheit sollte Posa sich
Vergeben? Nein. Ich kenn' ihn besser. Nicht
Den Philipp opfert er dem Carlos, nur
Den alten Mann dem Jüngling, seinem Schüler.
Der Vaters untergehnde Sonne lohnt
Das neue Tagwerk nicht mehr. Das verspart man
Dem nahen Aufgang seines Sohns - O, es ist klar!
Auf meinen Hintritt wird gewartet.

Alba. Lesen Sie
In diesen Briefen die Bekräftigung.

König (steht auf). Er könnte sich verrechnet haben. Noch,
Noch bin ich. Habe Dank, Natur! Ich fühle
In meinen Sehnen Jünglingskraft. Ich will
Ihn zum Gelächter machen. Seine Tugend
Sei eines Träumers Hirngespinst gewesen.
Er sei gestorben als ein Thor. Sein Sturz
Erdrücke seinen Freund und sein Jahrhundert!
Laß sehen, wie man mich entbehrt. Die Welt
Ist noch auf einen Abend mein. Ich will
Ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir
Kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern
Auf dieser Brandstatt ernten soll. Er brachte
Der Menschheit, seinem Götzen, mich zum Opfer;
Die Menschheit büße mir für ihn - Und jetzt -
Mit seiner Puppe fang' ich an.
(Zum Herzog von Alba.)
Was war's
Mit dem Infanten? Wiederholt es mir. Was lehren
Mich diese Briefe?

Alba. Diese Briefe, Sire,
Enthalten die Verlassenschaft des Marquis
Von Posa an Prinz Carl.

König (durchläuft die Papiere, wobei er von allen Umstehenden scharf beobachtet wird. Nachdem er eine Zeit lang gelesen, legt er sie weg und geht stillschweigend durch das Zimmer).
Man rufe mir
Den Inquisitor Cardinal. Ich lass'
Ihn bitten, eine Stunde mir zu schenken.

(Einer von den Granden geht hinaus. Der König nimmt die Papiere wieder, liest fort und legt sie abermals weg.)

In dieser Nacht also?

Taxis. Schlag zwei Uhr soll
Die Post vor dem Karthäuserkloster halten.

Alba. Und Leute, die ich ausgesendet, sahen
Verschiednes Reis'geräthe, an dem Wappen
Der Krone kenntlich, nach dem Kloster tragen.

Feria. Auch sollen große Summen auf den Namen
Der Königin bei maurischen Agenten
Betrieben worden sein, in Brüssel zu
Erheben.

König. Wo verließ man den Infanten?

Alba. Beim Leichnam des Malthesers.

König. Ist noch Licht im Zimmer?
Der Königin?

Alba. Dort ist Alles still. Auch hat
Sie ihre Kammerfrauen zeitiger,
Als sonsten zu geschehen pflegt, entlassen.
Die Herzogin von Arcos, die zuletzt
Aus ihrem Zimmer ging, verließ sie schon
In tiefem Schlaf.

(Ein Officier von der Leibwache tritt herein, zieht den Herzog von Feria auf die Seite und spricht leise mit ihm. Dieser wendet sich betreten zum Herzog von Alba, Andre drängen sich hinzu, und es entsteht ein Gemurmel.)

Feria, Taxis, Domingo (gleichzeitig). Sonderbar!

König. Was gibt es?

Feria. Eine Nachricht, Sire, die kaum
Zu glauben ist -

Domingo. Zwei Schweizer, die so eben
Von ihrem Posten kommen, melden - es
Ist lächerlich, es nachzusagen.

König. Nun?

Alba. Daß in dem linken Flügel des Palasts
Der Geist des Kaisers sich erblicken lassen
Und mit beherztem, feierlichem Schritt an ihnen
Vorbei gegangen. Eben diese Nachricht
Bekräft'gen alle Wachen, die durch diesen
Pavillon verbreitet stehn, und setzen
Hinzu, daß die Erscheinung in den Zimmern
Der Königin verschwunden.

König. Und in welcher
Gestalt erschien er?

Officier. In dem nämlichen
Gewand, das er zum letzten Mal in Justi
Als Hieronymitermönch getragen.

König. Als Mönch? Und also haben ihn die Wachen
Im Leben noch gekannt? Denn woher wußten
Sie sonst, daß es der Kaiser war?

Officier. Daß es
Der Kaiser müsse sein, bewies das Scepter,
Das er in Händen trug.

Domingo. Auch will man ihn
Schon öfters, wie die Sage geht, in dieser
Gestalt gesehen haben.

König. Angeredet hat
Ihn Niemand?

Officier. Niemand unterstand sich.
Die Wachen sprachen ihr Gebet und ließen
Ihn ehrerbietig mitten durch.

König. Und in den Zimmern
Der Königin verlor sich die Erscheinung?

Officier. Im Vorgemach der Königin.

(Allgemeines Stillschweigen.)

König (wendet sich schnell um). Was sagt ihr?

Alba. Sire, wir sind stumm.

König (nach einigem Besinnen zu dem Officier).
Laßt meine Garden unter
Die Waffen treten und jedweden Zugang
Zu diesem Flügel sperren. Ich bin lüstern,
Ein Wort mit diesem Geist zu reden.

(Der Officier geht ab. Gleich darauf ein Page.)

Page. Sire!
Der Inquisitor Cardinal.

König (zu den Anwesenden). Verlaßt uns.

(Der Cardinal Großinquisitor, ein Greis von neunzig Jahren und blind, auf einen Stab gestützt und von zwei Dominicanern geführt. Wie er durch ihre Reihen geht, werfen sich alle Granden vor ihm nieder und berühren den Saum seines Kleides. Er ertheilt ihnen den Segen. Alle entfernen sich.)