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Kulturgeschichte - Klassik


Kindheit 1749 - 1763
Jugend 1764-1769
Studium 1769- 1772 -
Erster Erfolg: "Werther" 1774
Karriere 1775 - 1787 -
Familie und Beruf 1788 - 1816
Alterswerke 1816 - 1825
Letzte Jahre... 1826 -1832  
Goethe und Bettina von Arnim
Link ins Goethehaus

Erzählung
Werthers Leiden 1. Teil
Werthers Leiden 2. Teil
Drama: Faust
Zueignung-
Vorspiel auf der Bühne
Prolog im Himmel -
Der Tragödie erster Teil -
Der Nachbarin Haus -
Szene YX ungelöst...

Gedichte

 

 


Johann Wolfgang von Goethe
Werthers Leiden, 1. Buch
erstellt: Juli 2000 von Martin Schlu

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Am 13. Julius 1771 I Am 16. Julius 1771 I Am 18. Julius 1771 I
Am 19. Julius 1771
I Am 24. Julius 1771 I >> weiter
 
Am 13. Julius 1771 - - Seitenanfang
Nein, ich betrüge mich nicht! Ich lese in ihren schwarzen Augen wahre Teilnehmung an mir und meinem Schicksal. Ja ich fühle, und darin darf ich meinem Herzen trauen, daß sie - o darf ich, kann ich den Himmel in diesen Worten aussprechen? - daß sie mich liebt!
 
Mich liebt! - und wie wert ich mir selbst werde, wie ich - dir darf ich's wohl sagen, du hast Sinn für so etwas - wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!
 
Ob das Vermessenheit ist oder Gefühl des wahren Verhältnisses? - ich kenne den Menschen nicht, von dem ich etwas in Lottens Herzen fürchtete. Und doch - wenn sie von ihrem Bräutigam spricht, mit solcher Wärme, solcher Liebe von ihm spricht - da ist mir's wie einem, der aller seiner Ehren und Würden entsetzt und dem der Degen genommen wird.
 
Am 16. Julius 1771 - - Seitenanfang
Ach wie mir das durch alle Adern läuft, wenn mein Finger unversehens den ihrigen berührt, wenn unsere Füße sich unter dem Tische begegnen! Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine geheime Kraft zieht mich wieder vorwärts - mir wird's so schwindelig vor allen Sinnen. - O! Und ihre Unschuld, ihre unbefangene Seele fühlt nicht, wie sehr mich die kleinen Vertraulichkeiten peinigen. Wenn sie gar im Gespräch ihre Hand auf die meinige legt und im Interesse der Unterredung näher zu mir rückt, daß der himmlische Atem ihres Mundes meine Lippen erreichen kann: - ich glaube zu versinken, wie vom Wetter gerührt. - und, Wilhelm! Wenn ich mich jemals unterstehe, diesen Himmel, dieses Vertrauen -! Du verstehst mich. Nein, mein Herz ist so verderbt nicht! Schwach! Schwach genug! - und ist das nicht Verderben? - sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart. Ich weiß nie, wie mir ist, wenn ich bei ihr bin; es ist, als wenn die Seele sich mir in allen Nerven umkehrte. - sie hat eine Melodie, die sie auf dem Klaviere spielet mit der Kraft eines Engels, so simpel und so geistvoll! Es ist ihr Leiblied, und mich stellt es von aller Pein, Verwirrung und Grillen her, wenn sie nur die erste Note davon greift.
 
Kein Wort von der Zauberkraft der alten Musik ist mir unwahrscheinlich. Wie mich der einfache Gesang angreift! Und wie sie ihn anzubringen weiß, oft zur Zeit, wo ich mir eine Kugel vor den Kopf schießen möchte! Die Irrung und Finsternis meiner Seele zerstreut sich, und ich atme wieder freier.
 
Am 18. Julius 1771 - - Seitenanfang
Wilhelm, was ist unserem Herzen die Welt ohne Liebe! Was eine Zauberlaterne ist ohne Licht! Kaum bringst du das Lämpchen hinein, so scheinen dir die buntesten Bilder an deine weiße Wand! Und wenn's nichts wäre als das, als vorübergehende Phantome, so macht's doch immer unser Glück, wenn wir wie frische Jungen davor stehen und uns über die Wundererscheinungen entzücken. Heute konnte ich nicht zu Lotten, eine unvermeidliche Gesellschaft hielt mich ab. Was war zu tun? Ich schickte meinen Diener hinaus, nur um einen Menschen um mich zu haben, der ihr heute nahe gekommen wäre. Mit welcher Ungeduld ich ihn erwartete, mit welcher Freude ich ihn wiedersah! Ich hätte ihn gern beim Kopfe genommen und geküßt, wenn ich mich nicht geschämt hätte.
 
Man erzählt von dem Bononischen Steine, daß er, wenn man ihn in die Sonne legt, ihre Strahlen anzieht und eine Weile bei Nacht leuchtet. So war mir's mit dem Burschen. Das Gefühl, daß ihre Augen auf seinem Gesichte, seinen Backen, seinen Rockknöpfen und dem Kragen am Surtout geruht hatten, machte mir das alles so heilig, so wert! Ich hätte in dem Augenblick den Jungen nicht um tausend Taler gegeben. Es war mir so wohl in seiner Gegenwart. - bewahre dich Gott, daß du darüber lachest. Wilhelm, sind das Phantome, wenn es uns wohl ist?
 
Am 19. Julius 1771 - - Seitenanfang
"Ich werde sie sehen!" ruf' ich morgens aus, wenn ich mich ermuntere und mit aller Heiterkeit der schönen Sonne entgegenblicke; "ich werde sie sehen!" und da habe ich für den ganzen Tag keinen Wunsch weiter. Alles, alles verschlingt sich in dieser Aussicht.
 
Eure Idee will noch nicht die meinige wären, daß ich mit dem Gesandten nach *** gehen soll. Ich liebe die Subordination nicht sehr, und wir wissen alle, daß der Mann noch dazu ein widriger Mensch ist. Meine Mutter möchte mich gern in Aktivität haben, sagst du, das hat mich zu lachen gemacht. Bin ich jetzt nicht auch aktiv, und ist's im Grunde nicht einerlei, ob ich Erbsen zähle oder Linsen? Alles in der Welt läuft doch auf eine Lumperei hinaus, und ein Mensch, der um anderer willen, ohne daß es seine eigene Leidenschaft, sein eigenes Bedürfnis ist, sich um Geld oder Ehre oder sonst was abarbeitet, ist immer ein Tor.
 
Am 24. Julius 1771 - - Seitenanfang
Da dir so sehr daran gelegen ist, daß ich mein Zeichnen nicht vernachlässige, möchte ich lieber die ganze Sache übergehen als dir sagen, daß zeither wenig getan wird.
Noch nie war ich glücklicher, noch nie war meine Empfindung an der Natur, bis aufs Steinchen, aufs Gräschen herunter, voller und inniger, und doch - ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, meine vorstellende Kraft ist so schwach, alles schwimmt und schwankt so vor meiner Seele, daß ich keinen Umriß packen kann; aber ich bilde mir ein, wenn ich Ton hätte oder Wachs, so wollte ich's wohl herausbilden. Ich werde auch Ton nehmen, wenn's länger währt, und kneten, uns sollten's Kuchen werden!
 
Lottens Porträt habe ich dreimal angefangen, und habe mich dreimal prostituiert; das mich um so mehr verdrießt, weil ich vor einiger Zeit sehr glücklich im Treffen war. Darauf habe ich denn ihren Schattenriß gemacht, und damit soll mir g'nügen.
 
Ja, liebe Lotte, ich will alles besorgen und bestellen; geben Sie mir nur mehr Aufträge, nur recht oft. Um eins bitte ich Sie: keinen Sand mehr auf die Zettelchen, die Sie mir schreiben. Heute führte ich es schnell nach der Lippe, und die Zähne knisterten mir.
 
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